Die sozialen Netzwerke werden nur von wenigen Kandidaten im Kommunalwahlkampf genutzt

Winsen/Stelle. Eine halbe Milliarde Mitglieder hat das soziale Netzwerk Facebook weltweit. Beinahe jedes namhafte Wirtschaftsunternehmen wirbt mit Hilfe des "Gefällt-mir"-Buttons um Sympathie. Die Bewerber bei den Kommunalwahlen am 11. September im Landkreis Harburg dagegen nutzen die Mobilisierungskraft der sozialen Netzwerke im Internet wie Facebook, Twitter oder Google+ nur spärlich. Wahlkampf ist hier noch klassisch - und manchmal ein bisschen Facebook. Das Abendblatt stellt zwei Avantgardisten vor, die mit dem Netz auf Wählerfang gehen.

"Die Chance, dass jüngere Wähler über Facebook auf mich und meine Themen aufmerksam werden, ist deutlich größer, als dass sie zum Beispiel einen Flyer lesen", sagt Philip Meyn. Der 20-Jährige aus Winsen hat eine Seite in dem sozialen Netzwerk eingerichtet, die ihm Stimmen für ein Mandat im Kreistag bringen soll. Etwa 1000 Stimmen braucht der CDU-Kandidat, um in das Gremium einzuziehen. 72 Facebook-Nutzer haben bereits den Gefällt-mir-Button angeklickt.

Vor allem junge Menschen wolle er auf diesem Weg ansprechen, sagt Philip Meyn. So sind denn auch viele Freunde aus dem analogen Leben, vom Fußball oder aus der Feuerwehr, in seiner Online-Freundesliste. "Ich kenne alle persönlich." Er setzt darauf, dass sich seine Chancen erhöhen, wenn seine Freunde die Einträge auf seiner Seite weiterempfehlen. Auf der Pinnwand berichtet er in kurzen "Postings" zum Beispiel über Hausbesuche im Wahlkampf, verregnete Stunden am Infostand oder ein Grillfest seiner Partei.

"Ich schreibe aber nicht jeden Tag - es soll nicht zu viel werden und die Leute nerven." Noch sind seine Einträge überschaubar, auch Kommentare gibt es kaum. Aussagekräftiger ist der klassische Steckbrief, in dem die Besucher der Seite einiges über Philip Meyn erfahren: Er bezeichnet sich als konservativ, ist evangelisch, Mitglied in der Feuerwehr und Fußballtrainer. Zu seinen Lieblingsfilmen gehören "Werner" 1 bis 4 und "Ballermann 6".

5000 Freunde hat Matthias Glage bei Facebook - das ist die Höchstzahl, die das größte soziale Netzwerk einem zubilligt. "Ich bekomme bis zu 30 Anfragen am Tag", sagt der Spitzenkandidat der Grünen für die Wahl zum Gemeinderat in Stelle. Dabei dreht sich vieles nicht um Politik: Schüler des Gymnasiallehrers, der in Hamburg unterrichtet, Politiker, auch anderer Parteien, und Bekannte im Ausland haben sich bei ihm als Freund registriert.

Der 61-Jährige ist ein "Urgrüner", hat die bürgerkriegsähnlichen Anti-Atomkraft-Demos bei Brokdorf in den frühen 1980er-Jahren miterlebt. Die Kraft der sozialen Netzwerke hat er 2008 entdeckt. Das ist das Jahr, in dem Barack Obama mit dem Einsatz neuer Medien im Wahlkampf neue Maßstäbe gesetzt hat und anschließend zum US-Präsidenten gewählt wurde. "Obama hat die Wahl mit Hilfe von Facebook gewonnen", ist sich Matthias Glage sicher.

Mit rasanter Geschwindigkeit hat der Steller Politiker im Kommunalwahlkampf das Kurzprogramm seiner Partei 500mal an den Mann und die Frau gebracht. Gut 500 Facebook-Mitglieder haben sich in ihrem sozialen Netzwerk als in Stelle lebend geoutet, ihnen allen hat der Netz-Wahlkämpfer geschrieben. "Pro Person sind das zehn bis 15 Sekunden", sagt Matthias Glage. So schnell streut kein Wahlkämpfer auf dem Marktplatz das Wahlprogramm.

Facebook gilt als Medium der jungen Menschen. Alle Wähler, die jetzt nachkommen, informieren sich über politische Inhalte zuerst im Internet, sagen Experten. Matthias Glage schätzt, dass er mit den 500 virtuellen Wurfsendungen, die er über Facebook initiiert hat, 300 Jugendliche und junge Erwachsene erreicht habe.

Durchschnittlich vier Stunden am Tag sei er im Internet, sagt der Lehrer und Kirchenmusiker.

Jeden Morgen postet Matthias Glage aus den zehn bis 15 Zeitungen, die er liest, zehn Artikel auf seiner Facebook-Seite. Seine virtuellen Freunde verbreiten diese Presseschau, mit der er auch Schüler überhaupt zum Zeitungslesen bringt. Das steigert seinen Bekanntheitsgrad, was jetzt vermutlich im Wahlkampf hilft. Eines hat Matthias Glage im "echten Leben" auf der Straße festgestellt: "Mich grüßen plötzlich viele Menschen, die mich vorher nicht kannten."