Kometenhafter Aufstieg. Die Konspirativen Küchenkonzerte aus Wilhelmsburg rocken ZDF Kultur - mit ganz besonderem Geschmack.

Harburg. Er trägt einen weißen Anzug, weiße Schuhe und seine Haare sind auch weiß. Vorne am Pony ein bisschen asymmetrisch schräg. Und das Schönste: Keiner weiß, wer dieser nicht mehr ganz junge Mann, der aussieht wie aus einem Tarrantino-Film, eigentlich ist. Solche Paradiesvögel liefen vorher jedenfalls nicht über den Puhsthof in Hamburg Wilhelmsburg, wo vor pink glühendem Abendhimmel gerade 50 Gäste auf dem Backsteinareal den Einlass der Konspirativen Küchenkonzerte erwarten. Nicht, bevor diese nicht ihren kometenhaften Aufstieg zu ZDF-Kultur schafften.

Zwei Mal geht der Mann in weiß noch aufs Klo, den Pony schräg zupfen. Und auch ein weiterer Paradiesvogel lungert mit Entourage im Wilhelmsburger Industrie-Hof. Er heißt Florian Wandvogel, leitet den Hamburger Kunstverein und wird sich vor allem wegen des heutigen Gastkünstlers auf den Weg zur Elbinsel gemacht haben.

Eine Viertelstunde später sitzt auch Wolfgang Bergmann in der ersten Reihe, seines Zeichens Chef von ZDF-Kultur. Im solide karierten Jackett. Neben ihm der Mann in Weiß. Von der anarchischen Rabaukensendung auf dem offenen Sender Tide TV haben sich die Konspirativen Küchenkonzerte aus Wilhelmsburg nun auf ihren neuen Sendeplatz bei ZDF-Kultur vorgekämpft. Und wenn Moderator Marco Antonio Reyes Loredo bei seiner Feuerprobe vor der ZDF-Senderavantgarde aufgeregt ist, schließlich sind die alle extra über die Elbbrücken gefahren und parken nun auf dem Lidl-Parkplatz eine Straße von seiner Wohnung entfernt, so merkt man es ihm nicht an.

Ein paar einführende Worte zum Thema "Heißer Scheiß live serviert" in die Kamera, die in seiner wie stets bis zur Unkenntlichkeit für die Sendung umgebauten Wohnung surrt, dann kann er das "Go" für seinen Musiker geben: "Du versteht mich nicht, ich sehs in deinem Gesicht..." wummert der eingeladene Elektropopper Andreas Dorau mit dem akkuraten Seitenscheitel und dem knarzigen Hamburger Akzent mit Band von der kleinen Bühne neben der Showküche. Später wird Dorau schön kalte Weißweinschorle ordern, auf der Flasche steht "Junge Winzer". Doch neben dem sympathisch gesprächigen Musiker ist wie immer auch ein bildender Künstler in die Küche eingeladen - und mit Bildhauer Tobias Rehberger haben die Küchenkonzerte einen richtigen Kunststar zu sich gebeten. Das scheint der Künstler mit einer gewissen Attitüde auch bedienen zu wollen. Schließlich ist er in der Welt zu Hause.

Ungeübteren Moderatoren würde Rehberger also wahrscheinlich den Schweiß auf die Stirn treiben, denn er gibt sich bei der Erklärung seines Kunstwerkes, einer gewaltigen Ganzrauminstallation mit farbigen Akzenten und Ausgucklöchern, äußerst knurrig. Mit weißem T-Shirt, angedeutetem Vollbart und zur Schau getragener Lässigkeit, lässt er den Moderator erst mal kommen. "Du hast mal gesagt, dich interessiert an einem Kunstwerk fast mehr die Oberfläche ....?" "Keine Ahnung, kann ich mich nicht dran erinnern." Pause. Rehberger hat die Küche mit weißer Pappe ausgekleidet, farbige Applikationen aus bunten Klebebändern drauf getapet. Vorlage sei eine "Favela", alles solle wie von "Kinderhand" aussehen. Rehberger gibt allerdings Anweisungen, die andere ausführen. In diesem Fall der Bühnenbauer der Küchenkonzerte, denn Autorenschaft interessiere ihn an einem Kunstwerk nicht. Mehr die Missverständnisse. Na ja, und die kann er ja haben.

Vier Kameras nehmen alles auf, die Scheinwerfer surren, während gekocht, geredet, Doraus Musik gelauscht und im Fahrstuhl-Separee ein Kunstinterview geführt wird. Schweineteures japanisches Wagyu-Rind hat sich der in Esslingen geborene Kunststar Rehberger mit Auftritten auf der Biennale gewünscht, doch die Küchenkonzerte wären irgendwie nicht die Küchenkonzerte, wenn sie dem nicht etwas Eigenes entgegen zu setzen hätten.

Marco Antonio Reyes Loredo hat sich eingetalkt, fordert Rehberger zum Tischtennisduell auf der Bügelplatte und serviert ihm am Ende doch nur Roastbeef mit Rucola. Ausgetrickst. Die weibliche Kunstentourage um Kunstvereinsdoyen Waldvogel lächelt Rehberger vom Rauchertisch fasziniert zu. Zwischendurch streift das pitschnasse Hemd des Kameramannes dicht an einem vorbei, denn hier ist alles eng auf eng. Und heiß sowieso.

Zu der Melange aus Musik und Talk bekommt das Publikum zwischendurch eine Art Basilikum-Bruschetta, Gruß aus der Küche. Das Olivenöl darauf schmeckt sehr fein. "Eine Hommage an Rehberger", raunt mir mein netter Nachbar zu, denn der Rehberger sammele feinste Olivenöle, 20 an der Zahl habe der zu Hause.

Daneben ist zu erfahren, dass Rehberger auch Schnäpse sammelt, 250 sind es plus jetzt einen "Wilhelmsburger Deichbruch", den er nach dem Tischtennismatch mitnehmen darf. Dorau singt schließlich "40 Frauen". Der Chef von NDR-Kultur lächelt dazu selig, vielleicht denkt er an die Einschaltquoten.

Es scheint gut für Marco zu laufen. Dorau singt "Größenwahn, was hast Du uns angetan", ein Lied seiner neuen CD "Todesmelodien". So lässig hin geschrammelt die ganze Sendung wirken mag, so viel Liebe zum Detail steckt in ihr. Sowohl Dorau als auch Rehberger haben mehrfach in Wilhelmsburg angerufen und sich nach den Exposés des anderen Gastkünstlers erkundigt. Dorau wollte genau die Farben von Rehbergers Installation in Erfahrung bringen, vielleicht hat er darauf sein blaues Bühnenoutfit abgestimmt. Vielleicht. Der Elektropopper gibt jedenfalls eine sehr gute Figur ab.

Und sowieso ist der Abend gut gewählt, denn abgesehen von dem Glanz der Medien- und Kunstavantgarde gibt es keine (bösen) Überraschungen: wie etwa bei der Folge, als 200 000 Fliegen von dem Künstler Baldur Burwitz zur Musik von Johanna Zeul auf das Publikum losstürmten oder dichter Kunstnebel durch das enge, heiße Studio waberte und dazu das Ensemble Resonanz spielte. Eine Zuschauerin soll mit Panikattacke nach draußen geflüchtet sein, ein Tontechniker sich spontan draußen übergeben haben. Soweit die Gerüchteküche der wilden Konspirativen Küchenkonzerte.

Hat sich viel geändert durch das ZDF im Boot? Nein, sagen alle im Team. Die Freiheit sei geblieben, den eigenen Geschmack durchzuziehen, denn schließlich sind sie mal mit der ernsten Mission angetreten, den Geschmack im deutschen Fernsehen zu retten. Nur alles ist jetzt ein wenig professioneller. Eine Redakteurin hat man, die vor allem darauf achte, dass keine Produktwerbung im Bild zu sehen sei und eben arbeite man jetzt nicht mehr ganz umsonst. Moderator Marco wohnt während der Aufzeichnung in seiner Wohnung übrigens im Hotel. Glücklicherweise ist mit Rehberger und Dorau aber die erste Staffel abgedreht, und er kann wieder die eigenen Möbel zurechtrücken. Eines ist jedenfalls sicher: Die Wilhelmsburger haben den Mainzelmännchen eingeheizt. Auch denen im Jackett.

Konspirative Küchenkonzerte, künftig jeden Freitag um 22 Uhr auf dem Spartensender ZDF Kultur, die Sendung mit Tobias Rehberger und Andreas Dorau wird am 23. September um 22 Uhr ausgestrahlt, zeitsouverän kann auch die ZDF Mediathek konsultiert werden.