Zum großen Fest vom 2. bis 5. Oktober werden prunkvolle Wagen aus Stroh gebastelt. Größtes Erntefest in Norddeutschland.

Scharmbeck. Ab jetzt läuft alles auf Hochtouren in der Scheune an der Scharmbecker Dorfstraße. Ein paar Tage sind es nur noch bis zum Erntefest, eigentlich zu wenig Zeit, um aus dem Holzgerüst, das mahnend auf einem Gerüst in der Mitte der Scheune thront, einen respektablen Beitrag für den großen Festumzug zu machen.

Ein goldenes Cable Car, eine Straßenbahn, wie sie sich in San Francisco die Steigungen hoch kämpft, soll das hier einmal werden. Natürlich kein echtes Cable Car - sondern ein mehr als dreieinhalb Meter langes und fast anderthalb Meter hohes Modell aus Holz und Stroh. Seit zwei Monaten bauen die "Scheunenhocker" - rund ein Dutzend junger Scharmbecker, Schüler, Azubis und Berufstätige, die sich in einer Wagenbaugemeinschaft zusammengetan haben - jeden Montag, Mittwoch, Freitag und am Wochenende an ihrem Strohwerk für das diesjährige Erntefest.

Die Scheune ist hell erleuchtet an diesem Abend, draußen dämmert es, schwüle Luft wabert durch die weit geöffnete Scheunentür. Drinnen lässt Stefan Bock die Bohrmaschine anlaufen, hält sie prüfend in die Luft. Sascha Krause sitzt auf einem Plastikstuhl, der wohl mal weiß war und jetzt schief auf dem mit Stroh bedecktem Boden steht, tief über einen Tisch gebeugt. Vor ihm liegt ein Schriftzug aus Holz: Coca Cola. Einige Buchstaben sind schon mit Strohhalmen beklebt. Auf dem Tisch stehen Plastikbecher mit braunem Neoprenkleber, Sprühdosen und Astraflaschen, dazwischen überall Stroh. Im Hintergrund klingt aus der Stereoanlage "Merci, Merci". Der rhythmische Reggae-Hiphop-Mix sorgt für entspannte Stimmung und treibt zugleich an. Draußen auf dem Kiesplatz knirscht es, ein schwarzes Cabrio fährt vor. Ein junger Mann springt aus dem Auto und steigt über eine Holzlatte in den Raum hinein. Merlin Freitag ist in diesem Jahr der König des Erntefestes, außerdem ist er Mitglied der "Scheunenhocker". Seit sieben Jahren bauen die Scharmbecker Freunde jedes Jahr einen Motivwagen.

"Wir haben mit einem einfachen Schachbrett angefangen", erzählt Jan Hoppe. Später warteten sie mit einem Windlicht auf, einem gallischen Dorf mit vielen kleinen Häusern, Käpt'n Balu mit seinem Flugzeug und einen Peter-Lustig-Wagen. "Mit der Zeit sind die Sachen immer besser geworden, immer detailreicher", sagt der 20-Jährige. Motive aus Kinderfernsehsendungen kämen meist gut an. Doch diesmal soll es die Straßenbahn werden. Das Gerüst aus Holzplatten steht, im Führerstand haben die Jungs sogar eine Armatur mit Fahrerhebel eingebaut. Auch kleine Sitzbänke mit geschwungener Rückenlehne stehen schon fertig in einem Nebenraum.

Das Dach des Wagens ist mit Stroh bedeckt. "Roggen", sagt Jan Hoppe. "Der hat schön lange Härchen." Den Rest des Gerüsts bekleben sie mit Weizenähren, und zwar nur mit den Ähren. Dicht an dicht müssen sie zu Reihen gelegt werden, so dass es am Ende aussieht, als lägen lauter lange Ähren nebeneinander. Jan Hoppe streicht mit dem Zeigefinger über die Linien. "Das ist eine ganz schöne Arbeit." Auf einer Außenwand des Wagons ist unter dem Fenster aus Plexiglas mit Bleistift ein Rechteck vorgezeichnet, es markiert den Platz für den Cola-Schriftzug, darüber steht "Weizen", die Fläche muss noch beklebt werden. Nebenan ist die Gruppe "C'est la vie" schon weiter, eine Giraffe reckt ihren langen Hals fast bis ans Scheunendach. Das Team hat in den vergangenen zwei Jahren mit ihren Beiträgen gewonnen. Doch Konkurrenz herrscht hier in der Scheune nicht.

"Wir helfen uns gegenseitig", sagt Jan Hoppe. Ein erster Preis wäre zwar schön - doch was gibt es überhaupt für den Sieger? Sein Teamkollege Hannes Oertzen weiß es: "Na, einen Pokal." Beim Umzug am Sonntag wollen sie ihr Cable Car aus Stroh auf einem Beet aus Blumen und Kies präsentieren. "Die Details, die viel Zeit kosten, bringen uns dann hoffentlich auch Punkte", sagt Jan Hoppe. Für die Woche vor dem Fest hat der Mechatroniker sich Urlaub genommen, genau wie viele andere Scharmbecker, die in diesen Tagen an Strohkunstwerken hämmern und kleben.