Warum die Oldendorfer Mühle sehr früh eine optische Getreidesortierung einführte

Oldendorf. Oftmals ist es leichter, das Haar in der Suppe zu finden, als ein Mutterkorn im Getreide. Der normale Verbraucher bekommt es so gut wie nie zu Gesicht. Weil der Berufsstand der Müller alles daran setzt, das Getreide vom Mutterkorn zu reinigen. Es ist nämlich ein hochgiftiger Schmarotzerpilz, der in nassen und windigen Sommern auf Getreide wächst - mit Vorliebe auf Roggen.

"Es ist ein unübersehbar gebogenes, langes und schwarzes Korn, das aus der Getreideähre herausragt und hochgiftige Alkaloide enthält. Das gute volle Korn jedoch ist kugelrund", sagt der Oldendorfer Müller Andreas Engel. Alkaloide sind Nahrungsgifte und haben die Wirkung einer Droge. Zu den bekanntesten gehören Koffein, Morphium, Kokain und Nikotin. Aus dem Pilz kann Lysergsäure gewonnen werden, aus der die Droge LSD (Lysergsäurediethylamid) hergestellt werden kann.

Die Problematik des Mutterkorns im Getreide ist so alt wie das Getreide selbst. Eine effektive Methode es zu reinigen, gibt es allerdings noch nicht so lange. "In unserer Mühle reinigen wir das Getreide per Fotoauslese", so der 51 Jahre alte Müllermeister. Engels Entschluss, dem Mutterkorn zu Leibe zu rücken, fiel 1994. Es war eines jener Jahre, in denen ein ungewöhnlich hoher Mutterkornbefall bei der Roggenernte registriert wurde.

Damals waren die Grenzen der technisch traditionellen Reinigung schnell erreicht. 30 Prozent Reinigungsabfälle, die als Sondermüll entsorgt werden mussten, waren keineswegs außergewöhnlich. "Abgesehen von ganzen Getreidelieferungen, die zurückgewiesen werden mussten", so Engel. Mittlerweile bietet der Markt Roggenzüchtungen, die dem Pilzbefall entgegenwirken.

"1994 waren wir wohl der erste traditionelle Mühlenbetrieb, der auf das Problem reagierte." Dafür hat man in der auf Roggenmehl spezialisierten Wassermühle in wenigen Wochen eine Maschine konzipiert, die eigentlich aus dem Bereich des Müll-Recycling stammt.

Dabei werden die Getreidekörner gleichmäßig in einer Vibrationsrinne auf einer Breite von 3,20 Metern verteilt. Von dort rutschen sie über eine Glasscheibe in die Tiefe. Dabei erfasst eine Hochgeschwindigkeitskamera den Kornschleier und erkennt durch Messung der Oberflächenreflektion vor dem Hintergrund der hellen Körner die dunklen Mutterkörner.

Die Kamera gibt dann ein Signal an eine parallel zum Getreideschleier verlaufende Leiste kleiner, dicht nebeneinander geordneter Luftdruckdüsen - 120 an der Zahl. "Die Kamera, die ein dunkles Korn erkennt, gibt einen Befehl an das Trennsystem, der etwa so lauten könnte: Befehl an Düse 119 - schwarzes Korn abschießen", beschreibt Andreas Engel in reduzierter Form den höchst komplizierten technischen Vorgang.

Die schnelle Druckluftdüse lenkt mit einem kurzen Luftstoß das dunkle Korn aus seiner Fallrichtung in einen separaten Auffangbehälter. "Dieser Vorgang spielt sich mit hoher Genauigkeit und Treffsicherheit innerhalb von Millisekunden ab", so Engel.

Über das Verfahren verfügen inzwischen alle deutschen Getreidemühlen. Nach deutschem und europäischem Lebensmittelgesetz darf der Mutterkornbesatz in Speisegetreide 0,05 Prozent nicht überschreiten.

Die ungewöhnliche und gefährliche Wirkung des Mutterkorns war schon 2000 Jahre vor unserer Zeitrechnung bekannt. Müller Engel weiß: "Der Name weist auf die Beziehung zur Gebärmutter hin, denn die Inhaltsstoffe des Mutterkorns regen die Wehen an. Einige Jahrhunderte zuvor war der Mutterkornpilz so verbreitet, dass es zu regelrechten Epidemien und Massenvergiftungen kam." Die Mutterkornvergiftung äußert sich durch Kribbeln auf der Haut, später durch Taubheitsgefühle. Sie kann zum Tode führen.