Der Glaube daran, einen Zugfahrplan auswendig zu kennen, kann für Bahnreisende ungeahnte Risiken bergen.

So wollte ich neulich in Hamburg in den Metronom nach Lüneburg steigen. Gedankenverloren betrete ich kurz vor 11 Uhr einen gelb-blauen Doppelstockwagen an Gleis 12. Darin: erstaunliche Leere. Ich scheine der einzige Fahrgast im Waggon zu sein. Für einen späten Montagvormittag nichts Ungewöhnliches, denke ich, schlage eine Zeitschrift auf und versinke in einen viel zu interessanten Artikel.

Pünktlich um 10.57 Uhr setzt sich der Zug in Bewegung. "Seltsam", denke ich: Sämtliche Lichter sind aus. Auch die Klimaanlage gibt nicht das gewohnte monotone Surren von sich. Sehnsüchtig erwarte ich die sonst eher nervige Begrüßungsansage mit mehrfachen Verweisen auf diverse Verbote. Nichts. Ungewohnt rumpelig bewegt sich der Zug über ungewohnt viele Weichen, bis er zum Stehen kommt - zwischen Zügen. Alle so leer wie der, in dem ich sitze.

Eine leichte Panik beschleicht mich, den Rest des Tages auf dem Abstellgleis verbringen zu müssen. Dann: Schritte! Es ist der Lokführer, dem ich hektisch hinterherlaufe, und dessen Reaktion mir zeigt, dass ihn nicht zum ersten Mal ein verwirrter Fahrgast verfolgt. Er beruhigt mich: Er sei gerade aus Cuxhaven gekommen und habe nur kurz das Gleis räumen müssen. Und: Der Metronom nach Lüneburg habe Verspätung, ich hätte noch eine Chance.

Dann wird ein Kleine-Jungs-Traum wahr: Ich darf mit ins Führerhaus! Wir rumpeln zurück in den Hauptbahnhof und der nette Lokführer hält extra direkt an der Rolltreppe, damit ich schnell zum richtigen Gleis sprinten kann. Ich verpasse meinen Zug nach Lüneburg. Um zehn Sekunden.