"Meine Frau? Die ist auf dem Friedhof", sagte mein Mann neulich zu unserer Nachbarin. Sie hatte ihn gefragt, wo ich sei. Als er das erschrockene Gesicht der armen Frau sah, stellte er schnell richtig: "Nein, nein, sie ist nicht tot. Sie geht da nur spazieren".

Die Dame war beruhigt, aber nicht sehr. Deutlich war ihr anzusehen, dass sie sich Sorgen machte. Nicht mehr um mein Leben, aber um meine geistige Gesundheit. "Was will ein quicklebendiger Mensch bitte auf dem Friedhof? Wie morbide muss man sein?", fragte sie sich heimlich, glaubt jedenfalls mein Mann.

Ich kann das nicht verstehen. Schließlich sind Friedhöfe doch in erster Linie für die Lebenden da. Die Toten sehen ja nichts mehr. Es sind Orte der Ruhe, an denen Hinterbliebene trauern und Menschen, die von der Hektik des Lebens überfordert sind, ein wenig Stille finden. Eine letzte Oase ohne Autos und Jogger - meistens jedenfalls. Durch den Olsdorfer Friedhof fährt zwar ein Bus, und einige Idioten verwechseln Gottesacker mit Trimm-Dich-Pfaden. Aber generell ist es ruhiger als im Park. Was nicht heißt, dass dort es kein Leben gibt. Auch auf dem Friedhof gibt es Nachbarschaftskonflikte, Cliquenbildung, Klatsch und Tratsch. Man verdächtigt sich des Gießkannendiebstahls, lästert über die geschmacklosen Putten auf dem Grab gegenüber und bildet solidarische Gieß-Gemeinschaften.

Sogar vermeintlich pietätlose Gebaren haben ihren Platz. Als ich neulich einer Joggerin sagte, sie solle woanders trainieren, brach sie in Tränen aus und sagte: "Mein Opa liegt hier. Lassen Sie mir meine Art zu trauern, und ich lasse Ihnen Ihre." Was kann man darauf entgegnen?