Historischer Triebwagen ist wieder unterwegs, wie damals. Für Stress ist hier kein Platz, wenn sich die alte Lok ihren Weg durch die grüne Natur bahnt.

Döhle/Soltau. "Ras' doch nicht so!", ruft Schaffner Mark Henderson dem Mann am Gashebel zu. Gerade beschleunigt das Gefährt durch Wald und Wiesen laut klappernd und rumpelnd bis zur Höchstgeschwindigkeit. Die Fahrgäste fragen sich, ob sie bei diesem atemberaubenden Tempo womöglich gleich abheben, da fällt der Blick unvermittelt auf den Tacho. Zwischen 48 und 50 pendelt die Nadel - in Kilometern pro Stunde wohlgemerkt. Wer mit dem "Ameisenbär" unterwegs ist, für den relativiert sich Geschwindigkeit - was ab sofort an jedem Sonntag auf der Strecke zwischen Soltau und Döhle "erfahrbar" ist.

Was einem beim Autofahren über Land gerade mal ein müdes Lächeln entlockt, ist im historischen Triebwagen der Osthannoverschen Eisenbahnen (OHE) ein eindrucksvolles Erlebnis. Schon Tempo 30 scheint hier schnell zu sein, doch mit 50 versteht man kaum das eigene Wort. So rustikal ist das Reisen in der alten Eisenbahn. Dabei war der "Ameisenbär" mal hochmodern. In den 1930-er Jahren war das, als die Waggonfabrik Wismar den Verkehr auf den ländlichen Nebenstrecken revolutionierte.

Zuvor waren noch qualmende, schnaufende Dampfloks vor die Personenzüge gespannt. Doch die neuen "Wismarer Schienenbusse" machten das Reisen leichter. Je ein Motor vorn und hinten, je ein Arbeitsplatz für den Triebwagenführer an beiden Enden - so einfach war die Technik für den Richtungswechsel.

Ging es nach vorn, wurde der Frontmotor gestartet - am Endbahnhof, vor der Rückfahrt in entgegen gesetzter Richtung, kam sein rückwärtiges Pendant zum Einsatz. Das Verfahren funktionierte jahrzehntelang problemlos, doch heute - nach fast 75 Jahren - gibt es kaum noch Ersatzteile. Deshalb rüsteten die OHE vor einigen Jahren ihr liebevoll gepflegtes Museumsmobil um. Statt zwei Motoren läuft nun bloß noch einer unter den beiden Hauben - und der kann vorwärts und rückwärts fahren.

"Viel zuverlässiger" sei das, sagt Hermann Hufenbach. Der 54-Jährige dirigiert im Hauptberuf als Lokführer Güterzüge über das OHE-Gleisnetz. Im Wechsel mit anderen Kollegen fährt er in der Sommersaison sonntags den "Ameisenbär" - wer dessen Front sieht, weiß, woher der Spitzname kommt - auf der Strecke von Soltau nach Döhle.

Der Soltauer "Ameisenbär" hat im Laufe seines Triebwagenlebens geschätzt eineinhalb Millionen Kilometer zurückgelegt. Er war bereits ab 1937 auf der Kleinbahnstrecke Winsen-Evendorf-Hützel und später auf OHE-Strecken im Einsatz. Heute mietet der Verkehrsverein Soltau den Triebwagen für die sommerlichen Fahrten ins Naturschutzgebiet an.

Bei der ersten Tour in diesem Jahr drängen sich die Eisenbahnfans auf dem Bahnsteig um die beiden Fahrkartenverkäufer. Gut 60 Menschen wollen mitfahren, bei nur 55 Sitzplätzen muss mancher die Fahrt stehend antreten. Auch Mark Henderson (42) und Matthias Riedel (43) stehen in dem engen Gang.

Die beiden ehrenamtlichen Schaffner machen das seit fast 15 Jahren und sind ein eingespieltes Team. Fast schon schade, dass sie pro Saison nur einmal aktiv werden dürfen.

Der Arbeitskreis der Soltauer Kaufleute stellt die Schaffner, rund 20 Ehrenamtliche teilen sich diese Aufgabe. Sie sind korrekt in Schaffneruniform mit Mütze und Krawatte gekleidet, verkaufen die Tickets und reichen auf der Rückfahrt geistige Getränke und Bonbons herum. Doch auch ohne Hochprozentiges hat die Fahrt Einiges zu bieten.

Bald nach dem Start begleitet ein Reh den Triebwagen, läuft mit großen Sprüngen lange neben dem Gleis her und zieht die Blicke der Passagiere auf sich. Später in Höhe des Bahnhofs Hützel springt ein Hund unmittelbar vor die Nase des "Ameisenbären", für die Fahrgäste völlig unerwartet, doch Hermann Hufenbach bleibt cool: "Das macht der jedes Mal so."

Natürlich kommt kein Tier zu Schaden. Für Hufenbach ist die sonntägliche Tour "ein ruhiger Job" - trotz der vielen interessierten Schaulustigen in seinem Rücken. Die älteren Leute und die Familien mit Kindern seien ein angenehmes Publikum.

In diesem Jahr lockt der "Ameisenbär" kräftig Fahrgäste an. Konnten Matthias Riedel und Mark Henderson bei Ihrer Fahrt im vergangenen Jahr gerade mal drei Fahrkarten verkaufen, sind es dieses Mal auf der Hin- und auf der Rückfahrt jeweils über 60. Eine Familienkarte kostet 35 Euro, Erwachsene zahlen für die Hin- und Rückfahrt 14 Euro, Kinder sieben. Fahrräder können in begrenzter Zahl mitgenommen werden. Ihr Transport schlägt mit zwei Euro zu Buche.

Zwischenstopps zum Ein- und Aussteigen gibt es am Haltepunkt Luhegrund und am Bahnhof Bispingen. Die Hin- und Rückfahrt dauern jeweils eine Stunde, der Aufenthalt in Döhle drei Stunden, die zum Gasthausbesuch oder Wandern genutzt werden können. Anmeldungen für die Sonntagsfahrten, die noch bis zum 4. September immer um 10 Uhr in Soltau und zurück um 14 Uhr in Döhle starten, sind nicht möglich. Gruppen können aber bei der Soltau-Touristik unter der Telefonnummer 05191/82 82 83 Sonderfahrten buchen.