Die öffentliche Diskussion, ob Schreibschrift an den Schulen noch gelehrt werden soll oder nicht, erinnert mich an meine ersten Schuljahre. Einiges, was ich längst vergessen habe, taucht plötzlich wieder auf. "Die Erinnerungen verschönern das Leben, aber das Vergessen allein macht es erträglich", spottete einst der französische Romancier Honoré de Balzac.

Wie dem auch sei. Schönschrift musste ich in der Schule noch lernen. Schönschreiben wurde genauso zensiert wie Rechtschreibung. Es ist mir nie gelungen, für das Schönschreiben gute Noten zu bekommen. Meine Klaue sei eine Zumutung für alle, die sie lesen müssten, darin waren sich viele Lehrer einig. Nicht nur aus diesem Grund sagten sie mir eine düstere berufliche Zukunft voraus.

Schönschrift hatte Ende der 40er-Jahre auch etwas mit Ordnung und Disziplin zu tun. Die Lehrer hätten wohl nie vermutet, dass ich später vier Jahrzehnte lang mein Brot mit Schreiben verdiente. Rückte in den ersten Berufsjahren der Abgabetermin für Texte drohend näher, schrieb ich auch in Flugzeugen, in Zügen oder in Kneipen. Keine Chance für Schönschrift! Es waren handschriftliche Manuskripte, die ich oft per Telefon diktieren durfte. Ich weiß nicht, ob heute Bewerbungen noch handschriftliche Teile enthalten müssen. Ich hatte Glück, bei mir genügten gedruckte Textbeispiele.

Wie Grafologen damals wohl meine Handschrift gedeutet hätten? Vielleicht ebenso wie die Lehrer. Wobei man beim Schönschreiben nicht zwangsläufig schön schreibt. Um den Dramatiker Lessing in einem Brief an seine Schwester zu zitieren: "Schreibe, wie du redest, so schreibst du schön." Was heute wohl auch kein Kriterium mehr ist.