Eine Glosse von Steffen Lüdke

"Guten Morgen, meine Lieben", begrüßt Leiterin Sonja ihre "Quameso"-Gruppe, "Ich hoffe, ihr habt gut geschlafen." Marianne ist geduldig, gutmütig, Mitte vierzig - die typische Kindergärtnerin.

Ausreichend geschlummert hat wieder einmal nur der kleine Kevin. Hyperaktiv wie eh und je kann er es nicht lassen und spielt lautstark mit dem kleinen roten Stoffball, den er so gerne mag. Paul hingegen hat zu wenig geschlafen und lässt seine Laune an Lisa aus, die eigentlich viel lieber mit Lili über ihr Lieblingspferd Attila reden würde.

Es herrscht ein heilloses Durcheinander im Raum, Marianne kommt kaum zu Wort. Entnervt gibt sie auf und schickt die aufgeregte Meute nach draußen an die frische Luft. "Bleibt ja zu zweit zusammen", ruft sie noch hinterher. Als ihre Schützlinge wenig später wiederkommen, haben sich die Gemüter nicht beruhigt - im Gegenteil, unter der Leiterins Augen quasselt der für sein Alter ungewöhnlich große Falk über sein Lieblingsauto, den roten Sportflitzer seines Papas.

Plötzlich platzt Marianne der Kragen: "Wir sind hier nicht im Kindergarten", schallt es donnerartig aus ihrer Kehle, "Wer kann mir etwas über das positivistische Wissenschaftsverständnis sagen?" Ein erschrockenes Raunen geht durch die Reihen des Hörsaals. Mürrisch greifen die Studierenden zu ihren Kugelschreibern und widmen sich den qualitativen Methoden der Sozialforschung - es wäre auch zu schön gewesen.