Mit neun Jahren habe ich angefangen, Karl May zu lesen. Anfangs freuten sich meine Eltern, dass ich überhaupt las und schenkten mir Bücher.

Die Geschichten waren so spannend, dass ich gar nicht aufhören mochte. Ich verschlang immer mehr und versank in den Büchern, statt zu lernen oder im Haushalt zu helfen. Irgendwann verboten mir meine Eltern dann, solchen Schund zu lesen. Ohne Erfolg, denn nun las ich heimlich weiter. Entweder lag das Buch unter einem Stapel Schulbücher versteckt oder ich las abends mit einer Taschenlampe unter der Bettdecke.

Meine Schwester las ebenfalls viel und heimlich. Allerdings hielt sie sich an die Mädchenliteratur, Hanny und Nanny, Trotzkopf und Ähnliches.

Da wir Kinder fast alle das Gleiche lasen, unterhielten wir uns in der Schule natürlich darüber und tauschten unsere Bücher aus.

Was habe ich nicht alles bei Karl May gelernt. In Erdkunde glänzte ich mit meinen Kenntnissen orientalischer Länder und Städte. Winnetous Mut und Redlichkeit wurde zum Vorbild. Ebenso lernte ich aber Redewendungen und bereicherte meine Deutschkenntnisse. Aber das Wichtigste war, zu erkennen, das Lesen Spaß machen kann. Natürlich las ich später andere Bücher. Das hätte ich ohne Karl May sicher nicht getan.

Heute wären wir froh, wenn unsere Kinder überhaupt lesen würden. Statt Karl May oder Trotzkopf heimlich im Bett zu lesen, spielen sie lieber heimlich Gameboy.

Sprichwörter lernen sie bei "Wer wird Millionär" und in der Schule überfordert sie schon einfache Lektüre, so dass es von vielen Büchern, selbst von Pippi Langstrumpf, inzwischen Leicht-Versionen gibt.