Das blonde Mädchen neben mir in der U-Bahn balancierte eine Plastikschachtel mit grob gestanzten Luftlöchern vorsichtig auf den Knien.

"Ist da ein Meerschweinchen drin", wollte ich wissen. "Nee, ne Ratte", strahlte die Kleine, griff in die Schachtel und setzte mir ein verängstigtes Jungtier im fahlbraunen Pelz mitten auf die Handfläche. "Sie heißt Billy", klärte sie mich mit einem Augenzwinkern auf, "und dahinten sind ihre Eltern." Ich drehte mich um. Am Boden kauerte eine salopp gekleidete junge Frau mit grün-rot gesprenkeltem Haarschopf, der eine ausgewachsene, an die dreißig Zentimeter lange Rättin von der rechten Schulter hing.

Ihr Freund, ein Michael-Jackson-Verschnitt in ultraknapper Lederhose, streichelte hingebungsvoll ein großes graues Rattenmännchen. "Willst du Billy nicht behalten?", wandte er sich an mich und ließ seinen Kaugummi knallen. "Wir haben nämlich noch 'n paar davon in unserer Wohnung. Ratten sind echt tolle Haustiere. Viel besser als Hunde oder Katzen."

Meine Einwände wurden mit einer lockeren Handbewegung abgeschmettert. "Bullshit - auch 'n Wellensittich ist komplizierter. Wegen dem Futter. Für Ratten musst du gar nicht extra einkaufen. Die essen nämlich genau das gleiche wie wir. Und wenn Billy später mal Junge kriegt, kannst du die ja an deine Freunde weitergeben." Wortlos überreichte ich dem Jüngling Billy, die es sich inzwischen auf meiner Hand bequem gemacht hatte, und verließ auf der nächsten Haltestelle fluchtartig das Abteil. Noch nie zuvor habe ich so geduldig über zehn Minuten auf den nächsten Zug gewartet.