Quer durch den Harsefelder Ortsteil Hollenbeck verläuft die norddeutsche Route des Pilgerweges

Hollenbeck. Dass der berühmte Jakobsweg auch durch Norddeutschland führt, und zwar auf gleich zwei historischen Routen, weiß längst nicht jeder. Noch weitaus weniger bekannt ist, dass sich die beiden Routen im Landkreis Stade begegnen - und zwar in dem 630-Seelen-Dorf Hollenbeck.

Die "Via Baltica", die auf der Insel Usedom beginnt, und die "Via Jutlandica" aus Dänemark streben ab der Geest-Ortschaft ein gemeinsames Ziel an - Santiago de Compostela im spanischen Galizien. In Hollenbeck, das ein Teil des Flecken Harsefeld ist, deutet indes nicht viel darauf hin. Der aufmerksame Beobachter entdeckt hier und da, etwa an Laternenmasten, Aufkleber mit dem Muschel-Symbol des Jakobsweges. Doch um die besonders gesegnete Kreuzung zu kennen, muss man schon zu den Eingeweihten gehören. Der Weg führt ein Stück aus dem Ortskern heraus, in die Nähe des Friedhofes. Dort, wo sich die beiden schmalen Straßen "Am Brink" und "Buttermoor" kreuzen und außer dem Wind nicht viele Geräusche vernehmbar sind, begegnen sie sich: die beiden legendären Routen.

Zu jenen, die Kenntnis von den historischen Wegen haben, auf denen vor Jahrhunderten manches Pilgertreffen stattgefunden haben mag, gehört Oliver Barth. Und nicht nur das - er betreibt auch die einzige Pilgerherberge in dem Ort. Vor einem Jahr entschloss sich der Kunstschmied, in dem ehemaligen Bauernhof, in dem er arbeitet und mit seiner Familie lebt, auch Pilgern Unterschlupf zu bieten.

Barth baute das Dachgeschoss einer ehemaligen Scheune zum Gästezimmer um, später entstanden drei Zimmer in einem Nebengebäude. Seitdem bekommt die Familie hin und wieder ganz besonderen Besuch auf dem idyllischen Anwesen.

"Wir hatten bisher fünf oder sechs Pilger hier", sagt Oliver Barth, der mit seinem langen, dunklen Haar selbst ein wenig an einen Vertreter dieser Zunft erinnert. Doch er versichert, er sei noch nie auf dem Jakobsweg gewandert. Er interessiere sich aber für jene, die es tun und habe sie gerne zu Gast. Wer aber sind die, die mit dem Wanderstock nach Hollenbeck kommen?

"Meistens sind es ältere Leute, einzelne Wanderer oder Ehepaare", berichtet Barth. Teilweise kämen sie aus der Region, teilweise auch aus Mecklenburg-Vorpommern oder von der Insel Usedom. Eine Familie aus Berlin war auch schon dabei, wie der Blick ins Gästebuch verrät. "Dieser Ort ist eine Oase der Ruhe. Er hätte Konfuzius sicher auch sehr gefallen." Wandern auf einem christlichen Pilgerweg und ein wenig asiatische Philosophie, das muss kein Widerspruch sein. Andere formulieren es schlichter: "Wir bedanken uns für die angenehme Aufnahme. Es hat uns an nichts gefehlt", schreibt ein Ehepaar aus Warnow, das 50 Kilometer südlich von Rostock liegt.

Wanderer vom nördlicheren Teil der "Via Jutlandica", etwa aus Dänemark, waren bisher noch nicht unter den Gästen. Diese kamen bisher alle aus Deutschland - und manche blieben dort vorerst auch. "Viele laufen den Jakobsweg in Etappen. Im nächsten Jahr fangen sie dann an ihrem letzten Zielort wieder an und arbeiten sich so mit den Jahren bis Santiago de Compostela vor", erzählt Oliver Barth.

Es gibt allerdings auch die klassische Variante: "Ich bin hier in Hollenbek einmal einem älteren Herrn begegnet, der auf dem Jakobsweg unterwegs war. Es war im Januar oder Februar, es herrschte Schneetreiben. Ich habe dem Mann angeboten, ihn ein Stück mit dem Auto mitzunehmen. Aber er wollte nicht. Sein Ziel war es, unbedingt noch zum Namenstag des heiligen Jakobus nach Santiago zu kommen."

Andere Wanderer, die es nicht ganz so eilig haben, finden die Zeit für etwas längere Gespräche. Sie erzählen von sich, wenn sie im Garten entspannen, manche kommen auch zu Oliver Barth in die Schmiede, die direkt neben der Herberge liegt. So erfährt der Herbergsvater manches über die Vorgeschichte und die Motive der Wanderer. "Jeder hat einen anderen Beweggrund. Das ist für mich das Spannende", sagt er.

So hatte er einmal eine Frau zu Gast, die den Tod ihres Ehemannes auf der Pilgerschaft verarbeiten wollte. Ein jüngerer Lehrer hatte sich ein ganzes Sabbat-Jahr genommen, um auf dem Pilgerweg Abstand zu bekommen. Natürlich gibt es auch Wanderer, die nach den Strapazen kaum noch Kraft für viele Worte haben. "Manche nehmen einfach nur noch ein Fußbad und legen sich dann ins Bett", so Barth.

Eine Möglichkeit, ihren Träumen näher zu kommen, haben in Hollenbeck übrigens auch Nicht-Pilger. Die Chance dazu bietet die "Hollenbecker Wunschbank", die vor dem Gehöft der Barths steht. Oliver Barth hat sie selbst konstruiert, aus Hufeisen. "Jeder, der sich daraufsetzt, kann sich etwas wünschen", sagt der Schöpfer. Für die wackeren Wanderer mag es ein Vorgeschmack auf das ferne Santiago sein.

Selbst einmal in das galizische Städtchen zu wandern, in der der Legende nach Jakob, einer der Jünger Jesu, begraben sein soll, kann sich Oliver Barth durchaus vorstellen. Allerdings erst im vorgerückten Alter - und bis dahin hat der 45-Jährige noch etwas Zeit. Zunächst einmal hofft er darauf, in Zukunft häufiger Pilger in Hollenbeck begrüßen zu können.