Eine Künstlerin und eine Stadtplanerin auf Tour über die Elbinsel. Beim Projekt “Zusammenwachsen“ bauen Kinder ein Miniaturmodell des Stadtteils

Wilhelmsburg. Jenseits der Elbe, so kündigt der Verein Arbeit und Leben zumindest seine einzige Tour der Veranstaltungsreihe "Recht auf Stadt" in den Hamburger Süden an, sollen Kunstorte nur so aus dem Boden sprießen. Neun Frauen schließen sich dem Streifzug von Sabine Kullenberg, Künstlerin aus Altona, und der Stadtplanerin Rosa von der Beek auf der Suche nach kreativen Orten ins "wilde Wilhelmsburg" an. Was wie ein Abenteuertrip in unbekanntes Terrain klingt, beginnt ganz profan von Harburg aus mit einer Fahrt im Linienbus 153.

Eigentlich sollte es mit der S-Bahn auf die Elbinsel gehen. Doch die kleine Besuchergruppe, der eine Rollstuhlfahrerin angehört, meidet den Bahnhof Wilhelmsburg. Nahezu abgerissen ist er eine Baustelle. Seine improvisierten, engen steilen Zugangsrampen stellen für Menschen mit Handicap die Art Abenteuer dar, auf das sie gerne verzichten würden. Für Rollifahrer sei der Bahnhof schlicht unzugänglich, macht Rosa von der Beek, eine Einheimische, klar. In Hamburgs Stadtteil mit der größten Geburtenrate, sagt sie süffisant, müssten Mütter ihre Kinderwagen mühevoll zur Bahn hochschieben: "Und das nicht nur für zwei Monate, sondern gleich für zwei Jahre". Dann, in 2013, soll der neue Bahnhof die Gäste für die Internationale Bauausstellung (IBA) und die Internationale Gartenschau empfangen.

Die Streifzüge "Recht auf Stadt" machen die umstritten Entwicklung von Quartieren zum Thema. Rosa von der Beek macht keinen Hehl daraus, dass sie von der Art und Weise, wie Bauausstellung und Gartenschau den Stadtteil umwälzen, nichts hält. Den Einheimischen bringe das nichts, behauptet sie. Verbindungswege würden gekappt. Baustellen belasteten die Bewohner über Jahre hinweg.

Ein Kunstprojekt nahe des Veringkanals hat seine eigene Baustelle geschaffen - nur viel charmanter als die am Bahnhof. Immer sonntags malt und bastelt hier Kathrin Milan mit Kindern an ihrem Stadtmodell, eine bunte Miniaturlandschaft Wilhelmsburgs. Die Kleinen bemalen Steine, die Häuser des Stadtteils. Ein Kiesbett, das bei Regen Wasser trägt, symbolisiert die Elbe. Ein buntes Hüttendorf gehört zu der Baustelle - ein Kunstidyll vor der Industriekulisse der Elbinsel. Für Rosa von der Beek ist das Stadtmodell ein gelungenes Beispiel für einen kreativen Ort.

Der Künstlerin Sabine Kullenberg geht es um die Identität von Orten. Die verändert sich in Wilhelmsburg. Die Freie und Hansestadt will das Underdog-Quartier systematisch aufwerten. Für die Kulturschaffenden in dem Stadtteil sei die sogenannte Gentrifizierung ein Problem: "Es werden nicht mehr Ateliers geschaffen, sondern vernichtet", sagt Rosa von der Beek. Die vorhandenen Arbeitsräume blieben besetzt, gingen gar nicht auf den Markt.

"Die Mietpreise für Ateliers, die es noch gibt, haben sich verdoppelt", sagt die Stadtplanerin. Ein 180 Quadratmeter großes Atelier, das sich drei Künstler teilen, koste heute 1600 Euro Miete - kalt. Ursprünglich hätten die drei 800 Euro Monatsmiete bezahlt. Eine zentrale Künstlerkolonie existiere hier nicht. Vielmehr seien die Ateliers in dem Stadtteil verteilt.

Schafft Hamburg ein neues Wohnquartier - und verdrängt die Künstlerszene, weil Arbeitsraum nicht mehr bezahlbar ist? Mathias Lintl, Künstler und Macher in der Soulkitchenhalle, hält anders als die Stadtplanerin Rosa von der Beek, die Gefahr eines Verdrängungsprozesses von Künstlern und Einkommensschwachen für gering: 90 Prozent der Gebäude in Wilhelmsburg seien in städtischer oder genossenschaftlicher Hand, sagt er. Eine Privatisierungswelle werde es daher nicht geben. "In Wilhelmsburg ist man deshalb relativ entspannt", so sein Eindruck.

Die Soulkitchenhalle an der Industriestraße, einst Kulisse für das Restaurant in der Kinokomödie "Soul Kitchen" von Fatih Akin, ist heute ein Off-Atelier für Konzerte und Performances. Die marode Halle inmitten von Speditionen gehört der Stadt und sollte eigentlich Ende 2010 abgerissen werden. Heute ist sie immer noch ein Kunstort, ein Künstlerkollektiv verwaltet sie und zahlt laut Lintl eine geringe Miete an die Stadt. "Die Internationale Bauausstellung möchte, dass wir hier sind", sagt der Kreative mit dem Pferdeschwanz, "solange wir drin sind, wird sie nicht abgerissen."

Seit etwa einem Jahr hätten 10 000 Menschen die Soulkitchenhalle aufgesucht. Der einstige Drehort, ist bekannt für extravagante Performances. Die Besuchergruppe lernt Harald Finke kennen. Der verkabelt Pflanzen mit Computern und lässt Orangenbäume oder Zimmerbäumchen so Musik machen. Impulse, von den Pflanzen abgegeben, setzt ein Musikprogramm in Töne um, was so ähnlich wie eine Klaviersonate klingt. "Performative Biosemiotik in akustischer und visueller Transformation", nennt Finke das.

Kreativ und irgendwie am Rande des Wahnsinns - so geht es am Sonnabend, 25. Juni, weiter an der Soulkitchenhalle: Das Künstlerkollektiv lädt zur Insel-Olympiade ein: um 18 Uhr mit Golfen im Industriegebiet. Zweite Disziplin ist um 21 Uhr eine Wasserbombenschlacht in der Industriestraße, danach Trockentanzen unter dem Motto "Feucht, warm und sexy".