Pianist Alexander Krichel wuchs in Harburg auf und erobert die Konzertbühnen der Welt

Sie haben schon so viel über ihn gesagt. Die Geschichte mit der adligen Mutter, den eigenen Yachten, die seine Familie angeblich besitzen soll. Er hat die Fantasie einiger Mitstudenten richtig zum Blühen gebracht. Vielleicht weil er, Alexander Krichel, der erste deutsche Student war, der es zu Vladimir Krainev geschafft hat, dem russischen "Klaviergott", der sein Professor wurde und der sonst nur Ausländer unterrichtet. Vielleicht, weil seine CD gerade durchstartet und in der umgebauten Friedrich-Ebert-Halle aufgenommen wurde. Vielleicht, weil das Publikum ihn auf seiner Venezuela-Tour mit "Maestro" ansprach und wie einen Popstar behandelte. Vielleicht, weil er da schon Bodyguards brauchte. All das als Student.

Alexander Krichel, die Haare wellig, am Finger einen kleinen goldenen Siegelring, ist 22 Jahre alt und in Harburg aufgewachsen. Seitdem er sechs Jahre alt ist, ringen seine schmalen feingliedrigen Hände mit dem richtigen Anschlag. Gerade kommt er von NDR-Kultur, ein paar Zitate zu seiner neuen CD "Insights" aufnehmen. Was Kleines, nur zwanzig Minuten.

Nun also der zweite Pressetermin an diesem Tag, ein Treffen im Café an der Hamburger Außenalster. Eigentlich gab es für Alexander nur wenig Zweifel, den Weg als Profipianist einzuschlagen. Obwohl: Ein Jahr vor dem Abitur am Harburger Heisenberg Gymnasium, da war er doch ein wenig unsicher. Die Eltern wollten etwas Sichereres, auch wenn er es bereits als Jungstudent nach Hannover an die Hochschule für Musik und Theater geschafft hatte.

"Das Herz sagte Musik, der Kopf sagte Medizin." Doch dann fiel die Bauchentscheidung: "Ich hätte mich sonst wohl das ganze Leben gefragt, wo wäre ich jetzt mit der Musik?" Der Mentor Krainev gab ihm den individuellen Schliff, feilte mit ihm am Rachmaninov, auch noch wenige Stunden vor seinem überraschenden Tod. Der Professor zählt zu den Vertretern der russischen Neuhaus-Schule, auch Schule des großen Klangs genannt. Unter anderem geht es darum, sich sehr virtuos und respektvoll dem Wesen eines Komponisten zu nähern und innerhalb der Vorgaben die größtmögliche Freiheit zu entwickeln. Es geht auch ein bisschen darum, den Flügel richtig zum Singen zu bringen.

Alexander Krichel ist diese Schule ein wenig ins Gesicht gemeißelt: asketische Züge, der Blick aus den blauen Augen ist erwachsen, fast ein wenig vergeistigt. Das Gesicht blass. Nur manchmal, da erkennt man den ganz normalen 22-Jährigen, eben im blau-weiß-kariertem Anzughemd. Doch was ist schon normal. Tägliches Üben bis zu acht Stunden zum Beispiel, vorzugsweise auch bis in die Nacht, vor einem Wettbewerb können es schon mal maximal zehn bis elf Stunden sein. Das ist allerdings die Ausnahme und wurde mit einer Sehnenscheidenentzündung quittiert. Hat er etwas verpasst? Alexander bereut nichts. Er hatte schon früh eine Vision. Die Vision hieß Musik. Spätestens als er mit 14 die 2. Ballade von Liszt spielte, hatte er so ein Erlebnis und fühlte: dass will ich lebenslang machen.

Mittlerweile ist Alexander selbstbewusst geworden. Steht gefühlt nicht mehr hinter den russischen und chinesischen Pianisten zurück, die mit Drill einen besonders guten Ruf auf dem Musikerparkett genießen. Doch die sind eben auch sehr beherrscht, können nicht so "explodieren". Alexander Krichel bezeichnet sich selbst als einen, der "polarisiert", vielleicht, weil er so sehr in die Tasten greift und eigentlich nichts von sich zurückhält. Bei Auftritten ist sein ganzer Oberkörper in Bewegung. Musik ist pures Gefühl, sagt er. Und wer als Musiker eine echte Persönlichkeit hat, der habe es auf Wettbewerben schwer. Trotzdem gelangen ihm erste Preise: beim "Steinway & Sons Klavierwettbewerb" und bei "Jugend musiziert".

Ein wenig Glück gehört auf dem Weg zum Profimusiker natürlich auch dazu. Der Klavierstudent, der im nächsten Jahr fertig sein wird, fand mit dem Verein "Freunde junger Musiker Bremen e.V." einen Sponsor, um seine Liszt-CD aufzunehmen. Und dabei wurde nicht gerade aufs Kleingeld geachtet. Alexander ließ die ersten 14 Reihen aus der Friedrich-Ebert-Halle rausnehmen. Wegen des Klangs. Sein Klavierstimmer flog aus Rumänien ein und kümmerte sich drei Tage und drei Nächte um den Flügel. Einen Steinway. Schließlich dann die fertige CD. Auf dem Cover Alexander, mit prüfendem Blick und einem edlen Foulard um den Hals. Vor einer Scheibe. Der Klassikmarkt erfordert eben auch ein klein wenig Inszenierung. In den Scheiben sieht man Spiegelungen, vielleicht auch ein Hinweis darauf, wie schwer es ist, sich dem inneren Wesen von Liszt durch eigene Projektionen und Spiegelungen hindurch zu nähern. Mit der CD, seiner "Visitenkarte", läuft es gerade einfach richtig gut.

Wo er in fünf Jahren steht, möchte sich Alexander deswegen lieber erst mal gar nicht ausmalen. Lieber einfach laufen lassen und sich nicht vergleichen. Das würde nur hemmen.

Und ihm, der in der Schule als hochbegabt getestet wurde und der en passant neben der Musik Kurse für Mathematiker an der Mathematischen Universität für hochbegabte Mathematiker besuchte, der Preisträger der Mathematik-Olympiade war, stehen zum Glück ja noch einige weitere Wege offen. Soviel Begabung kann einen schon sprachlos machen.

Ende Juni will Alexander sein Heimpublikum, das Harburger Publikum allerdings musikalisch beeindrucken: Auf dem Programm stehen dann die Appassionata-Sonate für Klavier von Ludwig van Beethoven, die Sonate für Klavier Nr. 1 op 22 von Alberto Ginastera und Venezie Napoli S 162 (après une lecture de Dante) von Franz Liszt. Ein Programm, mit dem Alexander Krichel bereits Erfolgsstürme erntete, und zwar auf der Venezuela-Tour.

Das Konzert, bei dem Alexander seine Stärken voll ausspielen kann und mit dramatisch jugendlicher Passion in die Tasten greifen wird, hat auch noch einen guten Zweck: Der Rotary-Club Hamburg-Harburg veranstaltet es zugunsten des Hospizvereins Hamburger Süden. Alexander, der schon im großen Laeisz-Saal spielte, wird dafür in den Helms-Saal kommen und am Flügel Platz nehmen. "Jeder Flügel hat eine eigene Seele", sagt er. Er wird sie sicher zum Klingen bringen.

Konzert am 30. Juni, 20 Uhr Helms-Museum, Karten kosten 15/, ermäßigt acht Euro, Vorverkauf über Konzertkasse Harburg, Konzertkasse Phoenix-Center, Musikhaus Lebens.