Uwe Ehlers muss einen Großteil seiner Ernte vernichten. Zwar wächst sein Gemüse im Gewächshaus, doch die Kunden bleiben aus

Winsen. Nicht wenige der Eilmeldungen, die in den vergangenen eineinhalb Wochen verbreitet worden sind und die Millionen Menschen zur Grundlage ihrer EHEC-Diskussionen genommen haben, bewiesen vor allem eines: abenteuerliche Unwissenheit. Sie warfen immer neue Fragen auf.

Wenn norddeutscher Salat mit Gülle gedüngt wird - wie bekommt man den Dreck aus dem Blättern wieder raus? Ist eine gut gewaschene oder gar geschälte Tomate keimfrei - oder kann der Erreger auch im Inneren der Frucht stecken? Und nicht nur Großstadtbewohner fragen sich: Wie wächst eigentlich eine Gurke - im Boden, am Strauch oder doch am Baum?

Selbst auf diese scheinbar einfache Frage gibt es mehrere Antworten. Zunächst einmal: Salatgurken wachsen ähnlich wie Tomaten an Kletterpflanzen. Jeder kann sie in einer sonnigen Ecke des eigenen Gemüsegartens in den Erdboden einsähen, regelmäßig gießen und mit Brennnessellauge Pilzbefall vermeiden.

Die meisten Salatgurken, die auf norddeutschen Tellern landen, werden jedoch in Gewächshäusern kultiviert. So wie bei Uwe Ehlers in Stöckte, der in dritter Generation einen Gemüsebaubetrieb führt. In seinem Gewächshaus ranken sich etwa 25 000 Gurkenpflanzen an dünnen Stricken in Richtung Glasdach. Auf gut zwei Meter Höhe markiert ein Draht das Ende der Fahnenstange, ab dort werden nur noch Seitentriebe zugelassen. Dafür sorgen an diesem Tag zwei Mitarbeiter, bei 21 Grad Raumtemperatur kappen sie Triebe an den Pflanzen, entfernen welke Blätter und werfen diese auf die weiße Schutzfolie, die den Erdboden abdeckt. "Unsere Pflanzen haben gar keinen Kontakt zu Erde", sagt Ehlers fast beschwörend. "Hier können sie mit dem EHEC-Erreger nicht in Berührung kommen."

Seit das Robert-Koch-Institut vor dem Verzehr norddeutscher Gurken, Tomaten und Salat warnt, ist sein Absatz eingebrochen. 4000 bis 5000 Euro Verlust mache er pro Tag, so Ehlers. Am Sonntag war sein Betrieb zudem über ein Hotel in Mecklenburg-Vorpommern in Verdacht geraten, den Keim zu verbreiten. Eineinhalb Tage war der Betrieb deshalb geschlossen, Ehlers gab auch selbst Untersuchungen in Auftrag. "Am Montagabend haben wir die Nachricht bekommen, dass sich der Verdacht nicht bestätigt hat." Einige Ergebnisse standen am Mittwoch laut Landkreissprecher Georg Krümpelmann noch aus. Bis dahin waren alle Ergebnisse der etwa 60 Proben aus dem Landkreis negativ. Getestet wurde bei Bauern, Händlern, im Vertrieb und bei Betrieben, die Lebensmittel verarbeiten.

Uwe Ehlers setzt nun alles daran, das angeschlagene Vertrauen der Verbraucher wieder herzustellen. Beim Rundgang durch den Betrieb pflückt er eine Gurke und beißt genüsslich hinein. "Ich esse immer noch jeden Tag Gurken, auf Brot oder als Salat."

Seine Jungpflanzen ordert Ehlers seit Jahren von einem holländischen Betrieb nahe der deutschen Grenze. Bereits die kleinen Pflanzen stecken in Ballen aus einem speziellen Substrat, das Perlite heißt und eine Art Gestein ist. "Es zerfällt bei Wärme in Kleinteile und saugt sich mit Wasser auf", sagt Ehlers. "Das ist sehr hygienisch." Jeweils drei Pflanzen wachsen aus so einer mit Substrat gefüllten Matte.

Jede Pflanze hängt am Tropf: Über ein dünnes Röhrchen wird sie je nach Bedarf, der unter anderem von Tageszeit und Sonnenschein abhängt, mit Wasser aus der zwischen den Reihen verlaufenden Pipeline versorgt. Das Wasser kommt aus der Ilmenau. Bis zu sieben Liter könne eine Gurkenpflanze an einem Tag verdunsten, sagt Ehlers. Auch der mineralische Dünger, ein chemisch hergestelltes Produkt, wird automatisch dosiert. "Das wird alles über einen Computer gesteuert", sagt Ehlers. Ab und zu gibt es eine Portion frische Luft, dann öffnen sich einige der Dachfenster. Alles ganz automatisch natürlich.

Die Reihen erstrecken sich auf 20 000 Quadratmeter Anbaufläche. Uwe Ehlers baut nur Gurken an. So eine Monokultur sei natürlich anfällig, zum Beispiel für bestimmte Wurzelkrankheiten. "Hygiene ist hier immer sehr wichtig." Geerntet wird mit Handschuhen. Jeden Morgen gehen Ehlers, seine Frau und ihre Mitarbeiter die langen Reihen ab und pflücken die Gurken, die bereit für den Verkauf sind.

So auch an diesem Tag. Zwar hat Ehlers bereits am Montag die Hälfte seiner zehn Mitarbeiter nach Hause geschickt. Doch die Ernte kann nicht warten, sonst werden die Gurken zu groß, entsprechen nicht mehr den vorgegeben Handelsklassifizierungen und sind dann unverkäuflich. Doch auch kaum eine perfekte Gurke schafft es zurzeit bis zum Hamburger Großmarkt, wo Ehlers sein Gemüse normalerweise an rund 40 Stammkunden, darunter Großhändler, Einzelhändler und Marktbeschicker, verkauft. In diesen Tagen ist mit Gurken kein gutes Geschäft zu machen. "Diese Krise trifft uns Gemüsebauern schlimmer als die Katastrophe von Tschernobyl", sagt Ehlers.

Zwei Paletten seien für den nächsten Tag geordert worden, normal seien zwölf bis 15. Auf eine Palette passen 800 Gurken, verteilt auf 40 orangefarbene Kisten. In der düsteren Lagerhalle hinter Ehlers Gewächshaus steht bereits der Überschuss der vergangenen drei Tage.

"Normalerweise geht das direkt am nächsten Tag raus", sagt der Bauer. Raus geht es auch jetzt. Aber statt in norddeutschen Küchen, die Gurken werden von Rügen bis an die dänische Grenze gegessen, landen diese Gurken gleich hinter der Halle - nun doch in der Erde. Ein Notausgang führt zu dem Feld, auf dem sie verteilt sind. "17 000 Stück", sagt Ehlers und blickt auf den Acker.

10 000 Gurken waren es am Tag zuvor. Die Gurken wird Uwe Ehlers mit einer Fräse zerkleinern und dann auf seinen Brachflächen unter die Erde pflügen. Der Bauer seufzt bei dem Anblick des Gurkenfriedhofs hinter der Lagerhalle. "Eigentlich sollten die jetzt auf Grilltellern liegen. Das ist wirklich bitter, wir haben so viel Arbeit in die Pflanzen gesteckt. Ich hoffe, dass sich diese Krise bald wieder in irgendetwas Gutes verwandelt."