Hausärztliche Versorgung gelangt an ihre Grenzen. Junge Mediziner bleiben aber gegenüber breit angelegter Werbe-Kampagne skeptisch.

Winsen. Die Prognosen sind düster. Die hausärztliche Versorgung im Landkreis Harburg gelangt in einigen Bereichen bereits jetzt an ihre Grenzen. In vielen Praxen herrscht ein Aufnahmestopp für neue Patienten. Ärzte, die in den Ruhestand gehen wollen, finden keine Nachfolger.

Und sollte dieser Trend anhalten und die Hausärzte ihre Praxen in Zukunft bereits mit 60 Jahren schließen, würde die hausärztliche Versorgung im Landkreis Harburg im Jahr 2020 bei gerade noch 30 Prozent liegen. Das entspräche lediglich 41 Allgemeinmedizinern, die in diesem Fall noch praktizieren würden.

"Eine bittere Bilanz, der wir dringend entgegen wirken müssen", sagt Reiner Kaminski, Fachbereichsleiter Soziales im Landkreis Harburg. Gemeinsam mit Medizinern, Vertretern der Krankenhäuser und Landrat Joachim Bordt (FDP) stellte Kaminski jetzt konkrete Maßnahmen vor, mit denen der Landkreis junge Mediziner für die Region gewinnen und die ambulante Versorgung auch in Zukunft sicherstellen möchte.

Als eine der wichtigsten Initiativen gilt in diesem Zusammenhang die Etablierung einer Homepage unter dem Kampagnen-Motto "StadtLandPraxis", die ab dem 7. Juni als Informationsplattform und Kontaktbörse für Mediziner fungieren und Studenten davon überzeugen soll, sich mittelfristig im Landkreis Harburg niederzulassen.

"Unser Ziel ist es, die Medizinstudenten wirklich frühzeitig zu erreichen und sie davon zu überzeugen, dass sie, sofern sie sich für die Ausbildung zum Allgemeinmediziner entscheiden, sehr gute Chancen auf eine eigene Praxis in unserer Region haben", sagt Kaminski. Die Metropolregion biete einen hervorragenden Lebensstandard, so der Fachbereichsleiter Soziales.

"Hier hat man die Heide, die Elbe, aber auch die Großstadt Hamburg mit ihren vielfältigen kulturellen Angebote vor der Tür", betont Kaminski, "die Attraktivität der Region ist also sehr hoch."

Neben der Homepage des Landkreises soll das Kinderbetreuungsangebot für junge Ärztinnen verbessert und die Bildung von Praxisverbünden unterstützt werden. Geplant ist außerdem der Aufbau einer Verbundweiterbildung. Das bedeutet: Studenten, die sich für die in Niedersachsen insgesamt fünf Jahre dauernde Allgemeinmediziner-Facharztausbildung entscheiden, sollen diese in Zukunft ausschließlich im Landkreis Harburg absolvieren können, und nicht - wie sonst üblich - an teilweise weit auseinander liegenden Standorten des Bundeslandes.

"Auf diese Weise werden die Mediziner an den Landkreis gebunden, und ihre Entscheidung für eine Praxiseröffnung oder -weiterführung wird eventuell begünstigt", sagt Kaminski.18 unterschiedliche Plakate sollen schon bald im Umkreis Medizinischer Fakultäten sowie an Krankenhäusern angebracht werden und für die "StadtLandPraxis"-Kampagne werben. Außerdem werden Anzeigen im Niedersächsischen Ärzteblatt geschaltet und kleine Postkarten in Studentenkneipen verteilt, die ebenfalls auf die Werbeaktion des Landkreises hinweisen.

Ob all das Wirkung hat? Die Medizinstudenten der Universität Hamburg sind in dieser Frage unterschiedlicher Ansicht. Florian Wessel, Medizinstudent im 11. Semester, überzeugt ein Vorab-Blick auf die Initiative des Landkreises wenig. "Ich kann mir zwar durchaus vorstellen, meinen Facharzt in der Allgemeinmedizin zu machen", sagt der 27-Jährige, "aber noch ist das Zukunftsmusik, auf die ich mich nicht festlegen möchte."

Florian Wessel glaubt nicht, dass Landärzte aus Sicht der Studenten ein Imageproblem haben. Was ihn allerdings von einer Niederlassung im Harburger Landkreis abschrecken würde, ist vor allem das mangelnde Angebot an Kultur und jungem Lebensstil. "Das kann auch die gute Anbindung an die Metropole Hamburg nicht kompensieren", sagt Wessel.

Sven B. ist da anderer Auffassung. Der 23-Jährige möchte definitiv Allgemeinmediziner werden und hält auch die Landkreis-Pläne zur Verbundweiterbildung für attraktiv. Der Medizinstudent will allerdings erst ein paar Jahre lang in einem Krankenhaus arbeiten, bevor er eine eigene Praxis in ländlicher Region eröffnet. Er hält die Anwerbung aus diesem Grund für etwas verfrüht, würde der Homepage "StadtLandPraxis" nicht zwingend einen Besuch abstatten.

Ähnlich geht es Emine Arpa. Auch die aus Bremen stammende Medizinstudentin kann sich nicht vorstellen, aufgrund der Harburger Werbekampagne konkrete Pläne für eine Niederlassung in der Region zu schmieden. "Grundlegend muss man sagen, dass man als Allgemeinmediziner auf dem Land sicherlich gute Möglichkeiten hat, mehr zu unternehmen, als nur Überweisungen an andere Fachärzte zu leisten. Dort umsorgt man die Menschen noch sehr intensiv", sagt die Medizinstudentin.

Sie kann sich die Tätigkeit in einer Landarztpraxis zu einem späteren Zeitpunkt ihres Berufslebens durchaus vorstellen. Doch erst einmal, sagt Arpa, stehe vor allem die Arbeit im Krankenhaus im Vordergrund. Die Harburger Werbeaktion weckt dementsprechend nicht unmittelbar das Interesse der jungen Frau.

Ähnlich verhält sich die Situation im Fall von Sara Nader. Die Studentin des 6. Semesters begeistert sich zum jetzigen Zeitpunkt ihrer Ausbildung vor allem für den turbulenten Arbeitsalltag und die vielfältigen Herausforderungen im Krankenhausbetrieb. "Wenn ich später einmal Kinder bekommen möchte", sagt sie, "wäre eine Praxis in ländlicher Region vielleicht eine Überlegung wert." Online registrieren würde sie sich auf der "StadtLandPraxis"-Plattform allerdings nicht. "Dafür kenne ich die Region zu wenig", sagt die Lübeckerin, "vielleicht muss man davon eine gewisse Vorstellung haben, um wirkliches Interesse an der Kampagne zu entwickeln."

Die Studenten bleiben demnach überwiegend skeptisch. "Gehandelt werden muss trotzdem", sagt Reiner Kaminski. Denn momentan, das gesteht der Fachbereichsleiter Soziales des Landkreises, gibt es in der Tat keinen einzigen Mediziner, der eine Praxis in der Region übernehmen oder gar eine neue eröffnen möchte.