Kiosk-Betreiber müssen seit Februar auf ihr Hauptgeschäft an Sonntagen verzichten. Die Existenzangst wächst

Wilhelmsburg/Harburg. In dem kleinen Kiosk von Christine Boreck an der Thielenstraße decken sich viele Anwohner nicht nur mit Zigaretten, Eis und Getränken ein. Dort werden unter anderem auch Brötchen, Zucker, Butter und Aufschnitt verkauft. Besonders an Sonntagen, wenn die Supermärkte geschlossen haben, besorgen Nachbarn in ihrem kleinen Laden noch ein paar Kleinigkeiten- so, wie es bislang seit Jahren üblich war im Stadtteil, in dem es laut Bezirksamt Mitte etwa 30 Kioske gibt.

Doch seit Februar setzt das Verbraucherschutzamt neue Maßstäbe. Das Hamburger Ladenschlussgesetz lasse eine Sonntagsöffnung nicht zu, hieß es, und Boreck müsse ihre Verkaufsstelle an Sonntagen geschlossen halten. "Gerade an Sonntagen machen wir hier fast unseren Hauptumsatz. Es geht an die Existenz, wenn dieser Tag fehlt", sagt sie. Zunächst hat sie das Verbot nicht so recht ernst genommen und öffnete am vergangenen Sonntag wie immer gegen 8 Uhr ihre Ladentür. Einige Stunden später kamen Polizeibeamte und wiesen sie auf die Gesetzeslage hin. Sie musste schließen. "Jahrelang wurden wir in Ruhe gelassen. An Tankstellen kann man auch an Sonntagen einkaufen. Das müsste die Verwaltung dann auch verbieten."

Einige Meter weiter betreibt Memet Zoroglu seinen Kiosk. "Das hier ist ein Familienbetrieb. Wir arbeiten teilweise sechzehn Stunden am Tag. Ich kann auf den Sonntag nicht verzichten, der rettet die Woche", sagt er. Deshalb hat er eine Gaststättenkonzession, darf an Sonntagen Waren über die Theke verkaufen. Seinen kleinen Laden öffnen darf er allerdings nicht. "Diese Schankerlaubnis ist teuer, aber nun bin ich froh darüber, sie zu haben, damit ich am Sonntag keine Probleme mit der Polizei bekomme." Für ihn mache die neue strenge Gangart der Behörde keinen Sinn. "Deshalb gibt es ja die Kioske, damit sich die Leute an Sonntagen und von montags bis freitags fast rund um die Uhr bei uns mit Kleinigkeiten eindecken können", sagt er. Florin Faziu ist Stammkunde bei Zoroglu, kauft regelmäßig Süßigkeiten und Zeitungen bei ihm. "Die Kioske gehören zu Stadtteil. Es wäre schade, wenn man den Betreibern das Leben schwer macht und sie dann deshalb nach und nach aus dem Quartier verschwinden."

Auch Leyla Kara ist mit ihrem Kiosk im Reiherstiegviertel von der neuen Gangart des Verbraucherschutzamtes betroffen. "Wir haben schon einen Anwalt eingeschaltet und werden uns gegen diese Willkür wehren", sagt sie.

Als Wilhelmsburg bis 2008 noch zum Bezirk Harburg gehörte, habe man keine Schwierigkeiten mit den Sonntagsöffnungszeiten gehabt. Und noch heute legt die Harburger Verwaltung bei der Interpretation des Ladenschlussgesetzes bei kleinen Kiosken andere Maßstäbe an. "Sie dürfen an Sonn- und Feiertagen von 7 Uhr an bis 16 Uhr ihre Waren verkaufen. Gehören Back- und Konditorwaren zum Hauptsortiment, dürfen diese Verkaufsstellen ebenfalls öffnen", sagt Verwaltungssprecherin Beatrice Göhring. Probleme gab es bislang mit dieser Regelung nicht. Harburg als Kioskhochburg der Hansestadt blickt da auf eine besondere Tradition zurück. Die kleinen Geschäfte gehören laut Gaststättengesetz zu den so genannten Trinkhallen. Das sind laut Gesetzgeber Schankstätten an öffentlichen Straßen oder Plätzen, bei denen der Ausschank durch Schalter oder über Tische an Gäste betrieben wird. Wurden in diesen Einrichtungen einst alkoholfreie Getränke an Arbeiter ausgeschenkt, machen Kioske heutzutage mit dem Verkauf von Bier, Schnaps und Zigaretten Kasse, gerade an Sonntagen.

Das läuft im Nachbarbezirk Wilhelmsburg jetzt nicht mehr so einfach. "Wir halten uns strikt an die Hamburger Ladenschlussgesetze. Bäcker, Blumengeschäfte und Läden, in denen man Reisebedarf erhält, etwa an Bahnhöfen und bei Tankstellen, dürfen an Sonntagen öffnen. Kioske gehören nicht dazu", sagt Sorina Weilandt, Sprecherin des Bezirksamtes Mitte. Weshalb man es von Amts wegen trotzdem jahrelang geduldet hatte, dass die Wilhelmsburger an Sonntagen in ihren Kiosken Eis, Zeitschriften, Zigaretten und Bier einkauften: "Wo kein Kläger, da kein Richter", sagt die Sprecherin. In den vergangenen Wochen habe es Beschwerden gegeben. Wollen Kioskbesitzer auch künftig an Sonntagen ihre Türen öffnen, müssten sie sich eine Schankkonzession besorgen, also eine Gewerbeänderung anmelden. Beim Bezirksamt Hamburg Mitte. Es müsse schließlich alles seine Ordnung haben.