Ursula Klein pflegt ihren schwer behinderten Mann zu Hause. Zum Tag der Pflege erzählt sie von Ungeduld und Glück

Buchholz. Nicht so hektisch, Frau Klein. Das habe die Pflegerin neulich zu ihr gesagt. Und kurz darauf auch die Apothekerin. Beruhigen Sie sich, Frau Klein. Sie solle "mal runterkommen", meinten ihre Kinder. "Dabei bin ich eigentlich ein ruhiger Mensch", sagt Ursula Klein. "Dass ich immer hektischer werde, merke ich selbst gar nicht. Ich bin immer im Gange." Seit rund zehn Jahren pflegt sie ihren Mann zu Hause in Buchholz. Werner Klein erlitt als junger Mann eine Lungenembolie, hat seitdem Durchblutungsstörungen in den Beinen. Heute ist er auf einem Auge blind, hat einen sogenannten Schiefhals und eine Gehbehinderung. Sein Körper ist von 1,83 Meter auf 1,70 Meter geschrumpft, Er kann nur gebückt an einem Rollator gehen. In seinem Schwerbehindertenausweis stehe, er sei "multi-morbide", sagt der 89-Jährige. Im Kopf ist noch immer klar. "Aber ich brauche ständige Begleitung."

Um fünf Uhr klingelt der Wecker von Ursula Klein. Eine halbe Stunde früher als nötig. Die 75-Jährige braucht die Zeit, um sich zu besinnen, wie sie sagt. Denn sobald sie aufgestanden ist, geht ihr Vollzeitjob los. Rund um die Uhr kümmert sie sich um ihren Mann. Zwar geht er allein ins Bad, sie ist jedoch immer aufmerksam. Denn Werner Klein fehlt die Kraft in seinem Körper, er stürzt immer wieder. Bleibt es verdächtig lange ruhig, sieht sie nach ihm. "Es ist, als ob ich mich um ein Kind kümmere", sagt Ursula Klein und fügt mit einem Lächeln hinzu. "Aber er ist gut erzogen." Ist sie kurz weg zum Einkaufen, bleibt er in seinem gepolsterten Sessel im Wohnzimmer sitzen, das Telefon vor ihm auf dem Tisch.

Für die häusliche Pflege hat Ursula Klein sich bewusst entschieden, ihr Mann soll ein möglichst normales Leben zu Hause führen können. Dazu gehören feste Rituale, wie sonntags, wenn sie gemeinsam den Presseclub im Fernsehen gucken. Seit Werner Klein auch noch extrem schlecht hört, verfolgt er die Debatten über ein spezielles Hörgerät. Danach reden die beiden über das Gehörte. "Diese Unterhaltungen sind eine echte Stütze für unsere Beziehung", sagt Ursula Klein.

Denn während die Diskussion über ein bestimmtes Thema ihm Freude macht, sind spontane Gespräche wegen seiner Schwerhörigkeit kaum mehr möglich. Manchmal verliere sie deswegen die Nerven, sagt Ursula Klein. "Meine Ungeduld belastet uns beide." Ursula und Werner Klein sind seit 38 Jahren verheiratet. Früher gingen sie gern ins Theater, in Konzerte, machten Ausflüge an die Ostsee. All das ist heute kaum mehr möglich. Vor allem, weil Fahrten mit Bus oder Bahn extrem umständlich seien und der Fahrstuhl im Buchholzer Bahnhof nur selten funktioniere, sagt Ursula Klein.

"Ich würde mir wünschen, dass viel mehr für behinderte alte Menschen getan wird." Trotz der Schwierigkeiten gibt es immer wieder "Sternstunden", wie Ursula Klein besonders schöne Momente nennt. Zum Geburtstag schenkten die Kinder Werner Klein einen Ausflug mit der ganzen Familie ins Maritime Museum im Hamburger Hafen. Und einmal in der Woche fährt das Ehepaar in ein Hanstedter Restaurant. Dort sitzen sie ruhig zusammen und essen Fisch. Beim Kaffee danach liest er den "Spiegel", sie die "Bunte". "Das ist wie jede Woche ein Urlaubstag", sagt Ursula Klein.

So sammelt sie die Kraft, die sie für die tägliche Pflege, die Arbeit im Haushalt und auch die "Auseinandersetzungsgespräche" mit ihrem Mann braucht. Der kümmert sich um den Papierkram. "Aber er macht immer alles ganz genau und braucht sehr lange", sagt Ursula Klein. Es kämen eben täglich neue Unterlagen dazu, die erledigt werden müssten, erklärt ihr Mann. "Aber ich kann verstehen, dass sie manchmal ungeduldig wird." Lange kämpften sie um die Anerkennung der Pflegestufe zwei. Erst als sie einen Anwalt eingeschaltet hätten, sei dies bewilligt worden, sagt Ursula Klein. Etwas mehr als 1000 Euro beträgt das Pflegegeld, nach allen Abzügen bleiben 230 Euro im Monat. Vor einigen Jahren regte sich Werner Klein so über den Streit mit Anwälten und der Krankenkasse auf, dass er einen Schlaganfall erlitt.

Seitdem hört er noch schlechter, muss sich stark konzentrieren, um einem Gespräch zu folgen. "Das nächste Ziel ist ein neues Hörgerät", sagt seine Frau. "Aber das wird bestimmt wieder ein Kampf." Sie wird ihn erst nach ihrer Kur angehen. Drei Wochen macht Ursula Klein eine spezielle Kur für pflegende Angehörige. Es ist das erste Mal, dass sie längere Zeit wegfährt. Ihr Mann bleibt zu Hause, wird von den zwei Töchtern betreut, dreimal täglich kommt eine Pflegerin. Wenn Ursula Klein wiederkommt, wird sie die Pflege ihres Mannes wieder übernehmen. Kraft schöpft sie aus den Erinnerungen an schöne Jahre mit ihrem Mann, der Arbeit im Garten und den Treffen mit der Familie. Außerdem sei der Mensch ein Gewohnheitstier, sagt Ursula Klein. "Ich habe gar keine Zeit, so furchtbar traurig zu sein."

Wenn es ihr doch mal zu viel werde, lege sie sich mittags für ein, zwei Stunden ins Bett, sagt Ursula Klein. Danach sei es zwar schwer, wieder in Gang zu kommen. "Aber dann macht Werner uns einen Kaffee, legt einen Keks dazu, und dann geht das alles wieder weiter."