Im Interview schildern Peter und Helga Novotny ihre Hilfe für Tschernobyl

Scharnebeck. Vor 25 Jahren ereignete sich das Reaktorunglück von Tschernobyl. Seitdem bemühen sich Hilfsorganisationen, das Leid der Menschen dort zu lindern. Peter und Helga Novotny sind mit der Stiftung Hof Schlüter aus Scharnebeck aktiv.

Rundschau:

Welche Eindrücke haben Sie von Ihrer ersten Reise in die Ukraine mitgebracht?

Helga Novotny:

Im April 2003 war ich das erste Mal mit einer Organisation aus dem Landkreis Harburg in der Ukraine in der Stadt Bila Zerkwa. Unser Gastgeber Kolja Daskewitsch brachte uns in die Todeszone von Tschernobyl. Dort wurden wir mit erschreckenden Bildern konfrontiert. Wir sahen verlassene Häuser ohne menschliches Leben. Wir trafen eine alte Frau, die allein in einem Holzhaus lebte und sich der Zwangsumsiedlung 1986 widersetzt hatte. Auf der Straße lag eine Puppe, die ein Kind offensichtlich bei der Evakuierung verloren hatte. Was ich dort gesehen habe, belastet mich noch heute.

Haben diese Eindrücke Ihre Meinung zur Atomkraft verändert?

Helga Novotny:

Ich wohne etwa 15 km vom AKW Krümmel entfernt. Mich haben die Eindrücke in Tschernobyl sehr nachdenklich gestimmt. Ich bin mir bewusst geworden, dass trotz aller Sicherheitsbekundungen kein AKW sicher ist.

Sind diese Eindrücke in Deutschland vermittelbar?

Helga Novotny:

Nein. Die Menschen hier können sich das Ausmaß der Katastrophe und deren Folgen, die man dort heute noch sieht, nicht vorstellen - wir leben ja in Deutschland. Um so mehr freuen wir uns darüber, dass unser Sohn André jetzt, nachdem er uns einige Male in die Ukraine begleitete, in die Stiftungsarbeit eingestiegen ist.

Welche Motivation steht hinter Ihrem Engagement für Bila Zerkwa?

Helga Novotny:

Seit 2003 besuchte ich regelmäßig die Menschen dort. Die Armut insbesondere der Kinder, der alten Leute und deren Leben ohne Perspektive sind für mich der Grund dafür, dass ich mich engagiere.

In welchen Momenten stoßen Sie an Ihre eigenen Grenzen?

Helga Novotny:

2004 war mein Mann mit mir das erste Mal in Bila Zerkwa. Es war bitterkalt, als wir abends zum Hotel kamen. Dort wartete ein Vater seit Stunden mit den Röntgenbildern seiner 4 Jahre alten Tochter auf uns. Das Kind hatte infolge der Tschernobyl-Katastrophe einen Gehirntumor. Wir haben das Kind mit der Mutter nach Hannover geholt. Dort wurde festgestellt, dass wegen des fortgeschrittenen Stadiums eine Heilung nicht mehr möglich war. Mutter und Kind wurden zurückgeflogen. Das Kind starb zehn Tage später in der Ukraine. Das belastet mich noch heute.

Warum leistet die Stiftung "Hof Schlüter" in Bila Zerkwa humanitäre Hilfe?

Peter Novotny:

Im Jahr 2000 bat uns eine Hilfsorganisation um Unterstützung für Hilfsprojekte in der Ukraine. 2004 habe ich mit meiner Frau in Kiew die Weiterführung humanitärer Aktivitäten durch die Stiftung sowohl auf ministerieller Ebene wie auch in der deutschen Botschaft geregelt. Wir konnten vertraglich festlegen, dass unsere Hilfsgüter die wirklich Bedürftigen erreichen, und dass die Kinder zu einem Erholungsaufenthalt in Deutschland aus armen Verhältnissen kommen. Überprüft wird dies von mir persönlich.

Sind die Spätfolgen der Reaktor-Katastrophe am 26. April 1986 heute - nach 25 Jahren - noch in Bila Zerkwa im Alltag sichtbar?

Peter Novotny:

Ich treffe dort auf Menschen, die das Inferno überlebt haben. "Tschernobyl-Veteranen" in Bila Zerkwa werden von uns mit Hilfsgütern versorgt. Die vom Staat zugesagte Unterstützung steht nur auf dem Papier. Die Menschen sind auf unsere Hilfe angewiesen. Es sind Männer und Frauen, die als Liquidatoren im Reaktor eingesetzt waren. Sichtbar sind die Spätfolgen der Tschernobyl-Katastrophe bei vielen an Krebs erkrankten Menschen insbesondere in den nachfolgenden Generationen. Immer wieder bitten uns Eltern mit ihren krebskranken Kindern um Hilfe, weil sie sich in der Ukraine die medizinische Behandlung nicht leisten können.

Warum ist das Engagement der Stiftung "Hof Schlüter" so wichtig?

Peter Novotny:

Das ukrainische Gesundheitswesen liegt vollkommen am Boden. Nur wer reich ist, kann sich eine Behandlung leisten. Wer kein Geld hat, muss notfalls sterben.

Vor diesem Hintergrund bemüht sich die Stiftung, die medizinische Versorgung in Bila Zerkwa zu verbessern. Insbesondere kümmern wir uns um an Leukämie erkrankte Menschen. Unser Ziel ist der Aufbau einer Knochenmark-Spender-Datei in der Ukraine. Dafür brauchen wir Unterstützung aus Deutschland.