Ein Rundgang mit dem designierten Präsidenten Garabed Antranikian durch die TUHH

Harburg. Seinen Willen, etwas zu werden, hätte Garabed Antranikian fast mit dem Leben bezahlt. Beirut im Libanon 1975, das Land versinkt im Bürgerkrieg. Garabed Antranikian studiert Biologie an der amerikanischen Universität in Beirut, arbeitet und lebt auf dem Campus. Ein Jahr später hat er seinen Master in der Tasche, will promovieren - aber wo? Der junge Mann will sich ein amerikanisches Visum besorgen, die Botschaft liegt einen Kilometer vom Campus entfernt. Garabed Antranikian, den alle Garo nennen, versucht an halbwegs ruhigen Tagen zu den Amerikanern zu gelangen, aber Heckenschützen sitzen auf den Gebäuden und schießen auf ihn.

"Irgendwann war mir klar, dass es keine gute Idee ist, für ein amerikanisches Visum zu sterben", sagt Garabed Antranikian in seinem Büro im NIT-Gebäude auf dem Campus der Technischen Universität Hamburg-Harburg.

So entscheidet sich Garo, zur deutschen Botschaft zu gelangen, die ist nur 400 Meter vom Campus entfernt. Er schafft es, beantragt ein Visum und ein Stipendium beim Deutschen Akademischen Auslandsdienst. Dann geht es mit dem Flugzeug vom jordanischen Amman nach Frankfurt und dann nach Freiburg.

Ein neues Leben beginnt. Garo, der hochbegabte Jüngling, der in Jordanien geborene Armenier, wird perfekt Deutsch lernen - Armenisch, Türkisch und Englisch kann er schon. Er wird in Göttingen promovieren. Er wird Professor in Harburg, einer der Besten seines Faches Biotechnologie, weltweit gesehen. Er wird zusammen mit der Industrie mehr als 100 Patente halten. Er wird den Deutschen Umweltpreis gewinnen. Er wird Mitglied im Lions Club Harburger Berge.

Und nun das Sahnehäubchen in einem Leben, das der 59-Jährige als "sehr glücklich" bezeichnet: Garo ist zum Präsidenten der Technischen Universität Hamburg-Harburg (TUHH) gewählt worden. An diesem Mittwoch feiert die TUHH die Amtsübergabe im Audimax. Es übergibt Professor Edwin Kreuzer, ein Lions-Freund von Garo.

Wer glaubte, Professor Antranikian wollte zum Ende seiner Laufbahn noch einmal eine ruhige Kugel schieben, der wird eines Besseren belehrt, wenn er mit dem für sechs Jahre gewählten TUHH-Präsidenten über den Campus geht: Der Mann sprüht vor Schaffenskraft und Kreativität: Hier sollen kleine, effiziente Lerngruppen her, dort schöne, bunte Bänke zum Verweilen, dort ein Café, wo der Student nach Stunden harten Lernens Kraft tanken kann. "Warum soll nicht ein Sushi-Restaurant oder ein Starbucks-Café auf unseren etwas tristen Campus kommen?", fragt Garabed Antranikian. "Wir müssen die Atmosphäre auf dem Campus verbessern."

Garabed Antranikian will die TUHH nach vorne bringen, man könnte auch sagen: aus dem manchmal etwas selbstzufriedenen Dornröschenschlaf befreien. "Wir müssen das Bestmögliche in Lehre und Forschung für unsere Studenten und Akademiker anbieten. Das Studium an der TUHH muss sehr gut sein und auch Spaß machen..." Garabed Antranikian nimmt Fahrt auf: "Mittelmaß ist nicht mein Ziel. Wir müssen weltweit konkurrieren können und im Ranking nach ganz oben kommen. Ohne Geld geht das natürlich nicht. Es ist doch naiv zu sagen, wir wollten ein bestmögliches Studium offerieren und bieten dafür altbackene Methoden an. Wir brauchen neue Dozenten, kleine Gruppen und Teams, in denen jeder mitdenkt. Das wichtigste Potenzial unseres rohstoffarmen Landes sind bestens ausgebildete, kreative, junge Leute."

Junge Leute, die so drauf sind wie er immer ist: wendig. Junge Leute, die tüchtig sind, nicht nach Stechuhr arbeiten. Die Fragen stellen, die sich andere nicht erlauben. Junge Leute, die es dürstet nach Erkenntnis, nach Innovation, nach Erfolg.

Mit 80 Mark und einem deutschen Wort - Goethe! - im Kopf kommt Garo, damals 26 Jahre alt, im September 1976 nach Deutschland: Im Goethe-Institut soll er binnen sechs Monaten sprachkompatibel für die deutsche Gesellschaft und Forscherwelt gemacht werden. "Wir haben in Freiburg viel gefeiert im Studentenwohnheim, ich musste zum Glück nicht viele Hausaufgaben machen", sagt Garabed Antranikian. "Wir haben viel zusammen gekocht - dabei habe ich am besten Deutsch gelernt."

Wir sind beim Thema Kochen, Garos Leib-und-Magen-Thema! Denn der Mann kocht à la bonne heure, dreimal pro Woche in seinem Einfamilienhaus im ruhigen Waldesruh im Landkreis Harburg, fast immer etwas anderes. Er hat unter dem Namen Garo Antranikian ein Kochbuch veröffentlicht: "Science meets Cooking. Wenn Wissenschaftler kochen". Darin geben Persönlichkeiten wie die verstorbene Hamburger Ehrenbürgerin Hannelore Schmidt (Rote Grütze), der Architekt Meinhard von Gerkan (Ofenkartoffeln mit Parmesan-Trüffelcreme) und die grüne Bundestagsabgeordnete Krista Sager (Shrimps in Weißwein-Sahne-Soße) ihre Lieblingsgerichte Preis. Und natürlich der Meister selbst, Garo, der uns seinen "Orientalischen Petersiliensalat" empfiehlt - "mit ganz viel Petersilie, die kaufe ich dem Steindamm in St. Georg" - und auf die Frage, welches der Gerichte ihm am besten schmecke, prompt antwortet: "Meine natürlich!"

Dabei lacht Garabed Antranikian. Er lacht viel an diesem Tag. Er ist ein Uni-Präsident, der viel lacht! Über seine eigenen Sätze am meisten. Aber auch über unsere Fragen und Kommentare. "Wir Armenier lachen viel", sagt Garabed Antranikian und gibt einen Witz zum Besten: "Fragt Radio Eriwan, ob die Schweiz kommunistisch werden kann. Antwort: Im Prinzip ja, aber schade für das schöne Land."

Und Garo liebt Ironie. Er sagt Dinge so, und meint sie ganz anders. Dann lacht er, ein wenig jungenhaft, wenn der Gesprächspartner die Ironie, die Pointe verstanden hat. "Ironie", sagt Garabed Antranikian, "ist noch nach drei Tagen gut."

Der neue Präsident denkt schnell, liebt die Dialektik. Er ist ein Freigeist, ein Feingeist. "Wir brauchen mehr Betreuung und neue Veranstaltungen. Die Bereiche Management, Kunst und Psychologie müssen Einzug auf den Campus halten." Garo setzt zum nächsten Sprung an: "Wir müssen uns fragen: Wofür steht die TUHH? Wir müssen mit den Feldern regenerative Energien und Umweltschutz noch stärker Themen generieren, damit jeder weiß: Dafür steht die TU in Harburg. Wir brauchen auch exzellente Forschung und Lehre in den Bereichen Verkehr, Materialwissenschaften und Life Sciences."

Für alle begabten Abiturienten solle seine Uni offen stehen, sagt Garabed Antranikian. Herkunft, Einkommen und Religion dürfen dabei keine Rolle spielen - ein Fünftel der TUHH-Studenten kommt aus dem Ausland. Da spricht der Weltbürger Garo, der auf Armenisch zählt und träumt und in vier Sprachen forscht. Der Weltbürger, dessen Großeltern aus der Türkei stammen und dort nicht Armenisch sprechen durften. "Mein Vater stammte aus Silvas in der Türkei und hat als einziger aus seiner Familie den Völkermord im Jahre 1915 überlebt."

Seine Eltern sie sind verstorben, waren keine Akademiker. Vater Josef war Polsterer, Mutter Elisa nähte Gardinen. Josef hatte ein kleines Geschäft in der jordanischen Hauptstadt Amman. Der kleine Garo half seinem Vater in der Werkstatt. Garo wollte unbedingt studieren, schon als er zwölf Jahre alt war. Er beobachtete Ameisen, "wie sie im Team arbeiten und wie schnell sie zum Ziel kommen. Wir können viel von der Natur lernen."

Und Garo hatte einen hervorragenden Biologie-Lehrer am Gymnasium. "Wer einen guten Lehrer hat, ist motivierter", sagt Garabed Antranikian.

Wir sind beim Thema Führungsstil, der Präsident mit dem deutschen Pass fängt so an: "Die Deutschen sind ja nicht gerade sehr optimistisch. Wenn hier diskutiert wird, kommen erst mal die Nachteile auf den Tisch. Es ist aber besser mit den Vorteilen zu beginnen. Wenn ich Mitarbeiter lobe, sind sie motivierter." Garabed Antranikian ist wieder Feuer und Flamme. "Man muss loben und motivieren - viele Manager schaffen das leider nicht. Man muss nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene loben. Jeder Mensch hat dieses Bedürfnis nach Anerkennung. Es ist wichtig, dass der Präsident der TU die Mitarbeiter und Studenten wertschätzt. Ich muss fair und freundlich sein und Respekt gegenüber allen auf dem Campus vermitteln. Und ich muss offen und transparent sein und nicht alles geheim halten."

90 Prozent seiner Kraft wird Garabed Antranikian künftig in das Präsidentenamt stecken, zehn Prozent in seine Arbeit als Leiter des Instituts für Technische Mikrobiologie. Von 8.30 Uhr bis 19 Uhr wird er an normalen Tagen arbeiten. "Aber durch das Internet gibt es ja faktisch keine Schicht im Schacht mehr. Ich kann meine Mails ja auch in Waldesruh lesen. Aber mir ist es wichtig, manchmal komplett abzuschalten. Wenn man immer das Gleiche denkt, fördert das nicht die Kreativität." Abschalten. Das macht Garo beim Kochen und einem Glas Wein mit seiner Ehefrau, der Deutsch-Armenierin Jeanette, 56. Und er hüsert auch gern im Garte herum. Außer Fahrradfahren hält Garo es sonst wie Winston Churchill: "No sports!"

Zum Ende des Rundgangs über den Campus etwas Positives, das entspricht dem Mann mit dem perfekten Haarschnitt, dem markanten Silberring am linken Ringfinger und dem bestsitzenden Anzug auf dem Campus - Garo hat selbst als Jugendlicher Hemden (Markenzeichen: Krawattenreste an Kragen und Taschenrevers) und Hosen entworfen und sie unter dem Namen "Garos Modell" verkaufen lassen. Das Positive sind seine Söhne: Sevan, 23, und Armen, 26. Sevan studiert Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule Fresenius in Hamburg. Armen studiert Cinematic Arts - das Filmemachen - an University of Southern California in Los Angeles. "Von Armen habe ich die Idee mit dem Sushi-Shop auf dem Campus."

Und zu guter Letzt die Sinnfrage: "Glauben Sie an Gott, Herr Antranikian?" "Ich liebe Jerusalem. Ich bin orthodoxer Christ und gehe Weihnachten, Neujahr und Ostern in die Kirche. Ich fühle Demut vor der Schönheit der Natur und weiß nicht, wie sie entstanden ist. Ja, da ist eine Macht, aber wie die aussieht, weiß ich nicht. Manchmal ist es gut, das man etwas glaubt und nicht weiter fragt."