In 70 Seekisten verpackt werden die Maschinenteile auf den Frachter “Accum“ verladen. Ziel ist Nordsibirien

Dradenau. In seine Einzelteile demontiert und in insgesamt 70 Seekisten und Containern verpackt, wird das in Moorburg abgebaute Gasturbinenkraftwerk vom Dradenauhafen nach Russland verschifft. Nach einem Zwischenstopp in St. Petersburg, hier werden die Bauteile umgeladen, baut das kommunale Energieunternehmen "Industrial Ural - Polar Ural" das frühere Hamburger Kraftwerk in Sibirien wieder auf. Das Ziel des Transportes ist die 45 000-Einwohner-Stadt Salechard am Polarkreis, eines der aufstrebenden Zentren in dem Riesenreich, die von dem Gas- und Ölboom profitieren. "Emirate" nennt der russische Volksmund diese kleinen Stadtstaaten der Gas- und Öldynastien.

Zwei Unternehmen aus Harburg sind an dem Russland-Geschäft beteiligt. Die Compass Transport-Logistik GmbH mit Sitz am Großmoorbogen führte die Regie beim Abbau und liefert die Kraftwerksteile bis an das Schiff. Dabei spielt die Kapitän Behrendt GmbH mit Sitz im Harburger Hafen eine wichtige Rolle. Der Verpackungsspezialist hat die empfindlichen Bauteile in Korrosionsschutzfolie gehüllt und in Trockenmittel eingelagert.

Das heute 30 Jahre alte Gasturbinenkraftwerk musste 2009 für das neue, bedeutend größere Steinkohlekraftwerk des schwedischen Energiekonzerns Vattenfall in Moorburg Platz machen. Ein Käufer gab es damals noch nicht. Mehr als 15 Monate lagerte das demontierte Kraftwerk bei der Rhenus Logistics am Dradenauhafen. Ein Grund für die lange Zeit ist offenbar auch, dass der russische Käufer das Fundament nicht rechtzeitig bauen konnte. "Salechard liegt im Permafrost", erklärt Compass-Geschäftsführer Wolfgang Korzytzki, "deshalb ist das Zeitfenster sehr eng, in dem man dort mit dem Schiff etwas anliefern kann." Bis Ende Juli müsse der Transport dort ankommen. Wer das Zeitfenster verpasst, muss auf das nächste Jahr warten.

Insgesamt 1300 Tonnen wiegen die Bauteile des Kraftwerks. Eineinhalb Tage dauert es, die jeweils 35 Seekisten und Container auf das 88 Meter lange Frachtschiff "Accum" zu hieven, das im Dradenauhafen festgemacht hat. Die Russen haben die Reederei "Briese Schiffahrt" mit Sitz in Leer beauftragt, das Kraftwerk nach St. Petersburg zu schaffen.

Der Schornstein fehlt bei der Lieferung. Der 256 Meter lange Schlot, der einst dem Fernsehturm Konkurrenz gemacht hat und als der Stolz Moorburgs galt, ist bei der Demontage gesprengt worden. Neu müssen die Russen auch die Kraftwerkshalle bauen.

Gespannt verfolgen Wolfgang Korzytzki und Sönke Dethloff, Geschäftsführer von Kapitän Behrendt, die heikelste Phase beim Verladen. Ein Schwimmkran hebt langsam die zwei schwersten Kraftwerksteile in den Laderaum der "Accum": Jede der beiden Seekisten aus Harburger Produktion enthält einen Generator und ist 142 Tonnen schwer. Arbeiter legen Holzlatten auf den Schiffsboden, das macht die Riesenkisten rutschfester. Die Arbeiten gehen etwas langsamer als geplant voran. Der Kapitän der "Accum" ändert einige Male seinen Stauplan, bis er zufrieden ist. Später verzögert ein Unfall das Auslaufen des Frachtschiffes um einen Tag: Der Erste Offizier bricht sich die Schulter und muss von der Reederei ersetzt werden. Dann endlich nach zweieinhalb Tagen bricht die "Accum" mit dem Moorburger Gaskraftwerk an Bord nach St. Petersburg auf. Vier Tage wird die Fahrt dauern.

Welchen Marktwert das 30 Jahre alte "Secondhand-Kraftwerk" mit 152 Megawatt Leistung hat, dazu macht Wolfgang Korzytzki keine Angaben. Nur so viel sagt er: Ein Neubau würde pro Megawatt Leistung eine Million Euro kosten. Und warum kauft eine der reichsten Städte Russlands eigentlich ein gebrauchtes Kraftwerk? "Ein neues Kraftwerk zu projektieren", antwortet Korzytzki, "würde fünf bis sechs Jahre dauern." Ein Wiederaufbau sei dagegen deutlich schneller zu realisieren.

Die Stadt Salechard will mit dem Kraftwerk aus Moorburg ihre Energieerzeugung modernisieren, berichtet ein Russe, der das Verladen am Dradenauhafen verfolgt. Insgesamt 240 Megawatt will der städtische Energieversorger installieren. Das Moorburger Gaskraftwerk wird in Sibirien also noch einen Anbau erhalten. Der Wiederaufbau der Energieanlage aus Deutschland, sagt Korzytzki, wird etwa zwölf bis 18 Monate dauern.

Erdgas gibt es der Region um Salechard im Überfluss: 90 Prozent der Erdgasreserven Russlands sollen sich in dem Verwaltungsbezirk befinden, dessen Hauptstadt Salechard ist.

Der Stromverbrauch ist hoch in dem lichtarmen sibirischen Winter. Der Tag ist schnell um in Salechard. Nur etwa drei Stunden zeigt sich die Sonne als flache Scheibe über der Stadt. Dann bricht wieder die Dunkelheit an. Bis zu minus 60 Grad wird es dort kalt.