Eine Stippvisite auf Schloss Agathenburg nach der winterlichen Umbauphase fördert eine Ausstellung und ungehobene Schätze zu Tage

Diesen Arbeitsplatz hätte man auch gern - selbst wenn in der Ecke jahrhundertealte Streitäxte lagern oder man im Keller bei ausgeschaltetem Licht über die Truhe aus dem 17. Jahrhundert fällt. Hinter den Fensterscheiben geht der Blick hinaus auf die Elbmarsch, wo Wiesen in sattem Grün und Felder bis zum Horizont reichen, vor dem sich nur die weißen Rotorblätter eines Windparks drehen. Schnurgerade Bewässerungsgräben durchziehen die Elbmarsch. Hier, wo im Winter manchmal noch die Umrisse des Barockgartens von Schloss Agathenburg erkennbar sein sollen. Sagt man jedenfalls. Rieke Buning, mit rötlichem Lockenkopf, ist seit Kurzem auf Schloss Agathenburg, sechs S-Bahn-Minuten von Stade. Sie kümmert sich um die kulturelle Öffentlichkeitsarbeit und genießt quasi beruflich den Ausblick für kulturelle Freigeister. Die Stippvisite bei der Dreißigjährigen aus Trier bringt nach endloser Fahrt über die Dörfer Horneburg, Dollern und Neukloster gleich mehrere Überraschungen.

Erstens die Bilder des Malers Dirk Behrens, die im Herrschaftssaal des Schlosses ein Stockwerk unter Bunings Schlossturmbüro hängen, sind eine kleine Sensation. Was bei der per E-Mail versendeten Information samt Fotos gar nicht so auffiel, wird unter dem opulenten Lüster im Prunksaal deutlich: Farbflächen sind in den großstädtischen "Flaneuerbildern" des Issendorfer Malers großartig gegeneinander gesetzt und ergeben mit einer äußerst harmonischen Farbigkeit so etwas wie Individualität in der Masse.

Regelmäßig zeigt das Barockschloss in schönstem Kontrast zur historischen Umgebung zeitgenössische Kunst unter der Federführung der Schlossherrin Bettina Roggmann, die für das Kunstprogramm verantwortlich zeichnet.

Zweite Erkenntnis: Während der winterlichen Umbauphase hat sich im Schloss einiges getan. Rieke Buning spendiert in der Schlossküche einen Latte macchiato aus der silberfarbenen Jura-Kaffeemaschine, dann geht es mit einem Novum hinunter in das barocke Kellergewölbe aus dem 17. Jahrhundert. Barock allerdings im Sinne von norddeutschem Barock, erbaut nach dem Vorbild schwedischer Adelshäuser.

Novum - denn der puristische Fahrstuhl, der an der Außenwand des Schlosses komplett verglast lautlos in den Keller oder in den zweiten Stock hinauf und hinunter surrt, zählt erst wenige Tage. Uns befördert er mit Blick auf das Elbtal ins Kellergewölbe. Die Landschaft, die unsere Augen während der kurzen Fahrt streifen, erblickte einst täglich Hans Christoph von Königsmarck, der hier im Dorf Lieth seinen Landsitz erbaute. Nach Fertigstellung des Schlosses wurde das Dorf kurzerhand nach seiner Frau Agathe benannt. Agathenburg eben. Das war um 1655. In Kürze soll im frisch sanierten Kellergewölbe die Geschichte der Familie erzählt werden, die nur drei Generationen umfasst und sich doch nach einem dramaturgisch ausgeklügeltem Mehrteiler liest: Von Mord, über tragischen Tod bis hin zur unglücklichen und damit tödlichen Liebe. "Nur drei Generationen und so viele Anekdoten", freut sich Rieke Buning ein bisschen.

Ziel der Königsmarck-Ausstellung wird es sein, diese Geschichte dem Besucher erlebnisnah und sinnlich nahe zu bringen. Die Streitäxte aus Bunings Büro werden bis zur Eröffnung also noch hinunter in den Keller ziehen. Dahin, wo schon die Kanonenkugeln aus dem dreißigjährigen Krieg stehen.

Noch ist im Tonnengewölbe ein wenig Baustelle. Doch klar ersichtlich ist schon, wie aufwendig und hoch modern durch Gelder aus der europäischen Kulturförderung EFRE (Europäischer Fonds für regionale Entwicklung) das Gesamtkonzept der Ausstellung realisiert wird. Der Kellerboden wurde erneuert, die Decke gesandstrahlt und es wurde bei der hochmodernen Präsentation auf einen anregenden ästhetischen Kontrast zwischen der historischen Baumasse und neuen Materialien und Inhalten geachtet. Rieke Buning öffnet die Tür zum Eiskeller, ein kleiner Nebenraum, in dem die Temperatur deutlich auf Kühlschrank-Niveau liegt. Ein Brunnenschacht geht von hier in die Tiefe. "Früher konnte aus dem Schlossteich das Eis in den Eisschacht gebracht werden. Das reichte den ganzen Winter, um die Lebensmittel zu kühlen", sagt Rieke Buning, die zwar Kunstgeschichte studierte, sich aber zusätzlich jede Menge Wissen über das Schloss und seine Bewohner angelesen hat. Eine Vitrine hinter dem Eisschacht präsentiert authentische Fundstücke, die später aus dem Schacht gefischt wurden. Mehr und mehr verkam der Schacht nämlich zur Müllkippe.

Die neue Dauerausstellung wird nicht nur sinnlich die Geschichte der Königsmarckfamilie erzählen, die mit dem gesamten europäischen Hochadel in Kontakt stand, sondern auch auf allen multimedialen Kanälen spielen. "Es wird Audioguides geben, sogar für den iPods - wir lassen da nichts aus", kommentiert Buning im letzten Kellerraum, der von avantgardistischen Deckenlampen bestrahlt wird und später für Feiern und Veranstaltungen gemietet werden kann, die Veränderungen auf dem alten Schloss.

Aus der Kühle der Kellerkatakomben befördert uns der Fahrstuhl aus dem Hause Hütter bei Glinde, der für durchgängige Barrierefreiheit sorgt, wieder hinauf ans Licht. Im ersten Stock wartet ein Zimmer, das die verbotene Liebe von Philipp-Christoph von Königsmarck, dritte Generation der Familie, und Sophie-Dorothea von Celle erlebbar macht. Seidene Tapetenstoffe an der Wand verbreiten weniger eine intime Boudoiratmosphäre als dass sie die eleganten Stofftapeten von einst imitieren sollen. In der Mitte des Raums nehmen zwei neu geschaffene, goldfarbene Sitzgelegenheiten gefangen, an denen zwei kleine Löcher dezent auf die zukünftigen Audioguides für die Besucher hindeuten. Große geraffte sonnengelbe Gardinen vor den Fenstern haben auch eine inhaltliche Bewandtnis, was erst nach Erklärung deutlich wird. Spross Philipp-Christoph von Königsmarck und Sophie Dorothea von Celle sollen sich oft Liebesbriefe geschrieben und in den Falten von Gardinen versteckt haben. "Vielleicht spielen wir damit auch inhaltlich", sagt Rieke Buning zum Konzept der Ausstellung. Die Liebe jedoch, sie endete mit einem Mord und beendete schon mit der dritten Generation die Generationenfolge der Königsmarcks. Der Besitz und die Länderein wurde vom Kurfürstentum Hannover erworben.

Für einen authentischen Blick auf die Königsmarck-Dauerausstellung müssen Besucher noch bis zum 22. Mai warten (an diesem Tag wird mit einem Tag der offenen Tür und kostenlosem Eintritt gefeiert). Bis dahin lohnt allerdings auch schon ein Blick auf die großartigen Arbeiten des Malers Dirk Behrens: Menschen in der Masse, Menschen in der Anonymität, Menschen im Großraumbüro. Das Großstädtische ist ein schöner Kontrast zum historischen Erbe. Ein Besuch auf dem Kulturschloss ist in jeden Fall interessant.

Schloss Agathenburg, neue Dauerausstellung beginnt am 22. Mai. Malerei von Dirk Behrens ("Wer ist M?" - kuratiert von Brigitte Garde) bis 1. Mai (Di. bis Sa. 14 bis 17 Uhr und So. 10 bis 18 Uhr)