Auf einen Kaffee mit der Autorin, Illustratorin und Schauspielerin Karen Köhler, deren Texte vor Detailreichtum nur so strotzen. Am Sonnabend liest sie in Harburg aus ihren Kurzgeschichten.

Sie ist schon da. Hinten auf der Eckbank an der Fensterscheibe sitzt sie. Ganz in der Ecke. An einem silbernen Notebook, das halb noch in der Schutzhülle steckt und fast die Hälfte des altmodischen Holztisches vom Trödel einnimmt. Ins "Café Mimosa" in der Clemens-Schultz-Straße wollte Karen Köhler gehen. Hierhin, wo sie am Wochenende schon mit dem Literaturveranstalter Rüdiger Käßner zusammen saß. Wer wen dabei entdeckt hat, ist irgendwie nicht so klar. Ob es Karens kunstvoll verdichtete Sätze waren, die Kässner trafen, der in Hamburg Literaturveranstaltungen auf die Beine stellt, darunter auch die "Harburger Auslese". Oder ob es der Umstand war, dass im "Forum junger Hamburger Autoren", zu dem Karen Köhler seit vergangenem Jahr gehört, einfach alle schon bei Käßner gelesen hatten, was Köhler vielleicht beunruhigte. Jedenfalls bat Karen Köhler um eine Audienz beim Meister und wurde erhört. Am Sonnabend wird sie Kurzgeschichten in Harburg lesen.

Doch das ist eigentlich viel zu profan ausgedrückt. Lässt man sich eine Weile von Karen im "Café Mimosa" mit dem antiken Lüster an der Stuckdecke, den riesigen selbstgemachten Brioches und den hölzernen Kaffeehausstühlen in ihre dichterisch-verwunschene Welt mitnehmen, so erwartet die Besucher ein kleines Gesamtkunstwerk. Eine Art "Lecture Performance". "Für mich ist der Augenblick vor dem Publikum ein öffentlicher und ein bewusster Akt, den ich gestalten will", sagt Köhler, mit sehr braunen Haselnusssaugen, sehr braunen Haaren, ein paar verblassten Sommersprossen und ab und an sieht man eine geflochtene Strähne, die aus den dichten Haaren hervorblitzt.

Karen mag die "HM- oder Ikea-Wegwerfgesellschaft" nicht. Besser gefällt es ihr, aus Dingen, die einem begegnen, etwas Neues entstehen zu lassen und auch Zeit auf sie zu verwenden. Angefangen bei den Lampen in der eigenen Wohnung, der Kleidung, aber durchaus auch in einem literarischen Sinn. Das kann nämlich auch ein Satz sein, der zufällig begegnet und hängen bleibt, wie der von unseren Tischnachbarn, die sich so umständlich über zu viel Salz im Essen beschweren, bis es irgendwann surreal wirkt. Oder die Begrüßung zweier Menschen, die die Autorin vielleicht beobachtet. Möglichst aufmerksam und detailreich.

Diese Fundstücke verdichten oder kombinieren sich in ihrem Kopf zu einer Geschichte, die sie erzählen will. Nicht unbedingt in so einem verrätselten Sinne mit verschachtelten Erzählzeiten, sondern eher im Sinne dieser archaischen Urkraft, aus der heraus Menschen sich immer schon Geschichten erzählt haben. Doch Karen Köhler war nicht immer nur Autorin und steht auch jetzt auf "drei Beinen". Sie schreibt, illustriert und arbeitet als Schauspielerin. Mal prescht das eine Bein vor, dann müssen die anderen Beine "nachwuchten" und manchmal liegt man dabei auch in produktiver Schieflage und verlässt den sicheren Boden. Naturgemäß auch den finanziellen.

Irgendwann Anfang dreißig nämlich war für die lebendige Schauspielerin, die fest am Ulmer Theater engagiert war und alle drei Wochen mit einer Premiere auf der Bühne stand, Schluss. Die Rollen hatten ihr nichts mehr zu sagen, nichts mehr mit ihrem Leben zu tun. Karen Köhler, inzwischen 37, wollte mehr. Mehr als nur das ausführende Organ auf der Bühne sein. Die Ur-Hamburgerin und gebürtige Barmbekerin kündigte ihr Engagement und ging zurück nach Hamburg. Erst studierte sie Sanskrit, wo sie schnell zu den Besten gehörte.

Aber geschenkt, schon Grundschule und Abitur erledigte die Tochter eines Feuerwehrmannes und einer Altenpflegerin mit Einserschnitt. Dann muss sich die Kreativität irgendwie Bahn gebrochen haben. Karen Köhler begann zu illustrieren, schrieb das eigene Stück "Pornorama - ein Männermärchen" fürs Theater, das sie ihr "Kleinod" nennt und mit dem sie auch heute auf Festivals als Performerin zu Gast ist, schrieb Kurzgeschichten und seit neustem sogar einen Roman. Köhler sagt das Wort "Roman" fast ein wenig ehrfürchtig. Haucht es sehr, sehr leise. Dass sie fleißig ist und besonders durchgeplant, hatte ja schon Rüdiger Käßner gemerkt, der es eigentlich noch nie erlebte, dass ein Autor um eine Vorbesprechung bat und ein richtiges Konzept mit Medieneinsatz für seine Lesung hatte. Auf dem Laptop öffnet die Autorin ein Dokument mit den Titeln ihrer Kurzgeschichten, die sie in Gaze gestickt oder als kunstvolle Illustration verarbeitet hat. Passend zu diesen Titeln wie "Splitter" oder "Eldorado", die sie für das Publikum auch projizieren will, gibt es Musik, die medial in die Lesung gespielt werden kann. Die Gäste sollen eine "andere Erfahrung" mit der Literatur machen, mehr "als nur sitzen und zuhören".

Draußen vor dem "Café Mimosa" blinzelt langsam die Kulturavantgarde in die noch zarte Märzsonne über Sankt Pauli, bunte Jäckchen und Sonnenbrillen kündigen den Frühling an. Normalerweise sitzt Karen Köhler für ihre Arbeit lieber in der eigenen Zweizimmerwohnung in Eimsbüttel, ganz konzentriert. Versucht jeden Tag zwischen Flur, Küche und Arbeitszimmer an ihren Erzählungen zu arbeiten. Sich selbst würde sie als literarische "Handwerkerin" bezeichnen, allerdings als eine in den "Kinderschuhen", wie sie bescheiden meint. In ihr steckte deswegen auch diese Sehnsucht, sich auszutauschen. Sie schickte ihre Texte an das "Forum junger Hamburger Autoren." Erst mal kam lange nichts und Köhler sagte sich: Aha, dann war das wohl nichts. Doch irgendwann fischte der Kollege nach langer Afrikareise ihre Texte aus dem Briefkasten, schickte sie den anderen Autoren, mit denen Karen nun alle zwei Wochen in kleiner Runde hart und konstruktiv an den Texten arbeiten kann. Nicht immer schonend aber gewinnbringend.

Bei manchen Texten muss Köhler einfach immer wieder aufstehen, alle zwei Minuten, ein richtiges Ringen mit dem Text. Und manchmal zeigt die Uhr schon ein Uhr in der Nacht, ohne dass sie ein Mal vor die Tür geschaut hat. "Was für ein Sozialnerd denke ich dann", sagt Karen und lächelt in sich hinein. Überwiegend drängen eher schwerere Stoffe aus ihr heraus. Scheinbar auswegslose, manchmal sogar albtraumartige Situationen zwischen Leben und Tod, in die man nicht hineingehört. "Mich interessiert, wie Menschen da aus eigener Kraft wieder herauskommen." Auch durch den Zufall, und das dann poetisch verdichtet. Vielleicht gilt das in kleinerem Format auch für Karen Köhler selbst. Die Vielseitigkeit der Talente spiegelt sich auch in der Wahrnehmung ihrer Person. Die Autorin umweht eine gewisse Nostalgie, die an glitzerbestickte Oblaten denken lässt, etwas beinahe mädchenhaft Zartes und Zerbrechliches. Doch hat man diesen Gedanken gerade gefasst, erfährt man, wie Köhler ihre Kollegen auf Kampnagel heute Abend für ein neues Theaterprojekt per Powerpoint briefen wird und sieht diesen entschiedenen Zug um den Mund spielen. Mit ihrem Aikido-Lehrer hält die Autorin es mit der Erkenntnis: "Qualität setzt sich immer durch." Es lohnt sich, ihren Kurzgeschichten am Sonnabend zuzuhören.

Lesung am 26. März um 16 Uhr in der Harburger Kulturwerkstatt, Kanalplatz 6, Eintritt 5 Euro.