Landgericht verurteilt 71-Jährigen aus Neetze wegen 140-fachen Kindesmissbrauchs

Lüneburg. Ganz zum Schluss hat er dann doch noch von Bedauern gesprochen: Der wegen 150-fachen Kindesmissbrauchs und einer Vergewaltigung Angeklagte aus Neetze hat in seinen letzten Worten vor der Ersten Großen Jugendkammer des Landgerichts Lüneburg gestern Kinder und Eltern um Entschuldigung gebeten. Gleichzeitig hat der mittlerweile 71-Jährige versucht, seine Taten zu entschuldigen. Er sei da "hineingeraten". Die Kammer sprach das erwartete Urteil: sechs Jahre und sechs Monate Gefängnis.

Allerdings nur für 140 der 151 angeklagten Fälle. Die übrigen hat der Beschuldigte geleugnet, es wäre eine umfangreiche Beweisaufnahme mit Vernehmungen der Opfer nötig geworden - und das vermeiden zu wollen, waren sich alle Prozessbeteiligten einig. Sie ließen sich daher auf den von Beginn des Prozesses an avisierten Deal ein. Zudem hätten die jetzt eingestellten Fälle laut Vorsitzendem Richter Axel Knaack am Strafmaß nichts geändert. Die eine angeklagte Vergewaltigung seiner Adoptivtochter im Jahr 1992 wurde von diesem Verfahren abgetrennt, auch sie hat der Angeklagte bestritten. Ob der Vorwurf zur Verhandlung kommt, ist noch unklar. Das Verfahren könnte gegen die Zahlung eines Schmerzensgeldes eingestellt werden.

Er sei kein "Sexmonster", wollte der Angeklagte gestern zu Protokoll gegeben wissen, sondern "da einfach rein geraten". Er wiederholte, die Kinder seien fröhlich gewesen und immer gern zu ihm gekommen. "Und in der Mehrzahl der Fälle ist ja auch nichts passiert." Nun hoffe er, dass die Kinder "keinen Schaden davontragen".

Opferanwältin Silke Jaspert hatte vor den Schlusssätzen des Angeklagten "Worte der Reue, des Bedauerns, eine Geste des Wiedergutmachens" vermisst. Das Bild, das der Angeklagte von sich selbst zeichnete, sei "selbstgefällig", seine von ihm viel zitierte Intelligenz habe es ihm jedoch "nicht möglich gemacht zu erkennen, welches Leid er den Kindern zufügt". 20 Jahre lang sei er sich "keiner Schuld bewusst" gewesen. Ihr Kollege Eike Waechter erinnerte zudem daran, der Mann habe die Aussagen der Zeuginnen bei den Vernehmungen der Polizei zunächst als "pubertäre Spinnereien" abgetan.

Strafverteidiger Christian Wigger kündige an, sein Mandant werde sicher einer Sozialtherapie unterziehen. Das Geständnis sei ein "schwerer, erster kleiner Schritt" dahin gewesen, sein Verhalten und die Taten aufzuarbeiten: "Ob er das schafft, weiß ich nicht."

Richter Axel Knaack verkündete das Urteil und betonte noch einmal, das Gericht habe es sich mit dem Deal nicht etwa einfach machen wollen, sondern die Opfer vor einer Aussage und dadurch möglichen Retraumatisierung schützen wollen.

Der Richter machte dem Verurteilten zum Schluss außerdem sehr deutlich, dass dessen Schlussworte nicht unwidersprochen bleiben dürfen. "Wir sind nicht blind", sagte Knaack. "Es geht hier nicht um einen alten Herrn, der irgendwo hineingeraten ist. Das Geschen ist kein Zufall gewesen, sondern ganz bewusst angesteuert." Knaack: "Bei dem Hinweis auf die fröhlichen Kinder ist mir das Schaudern gekommen."