Geigenfund auf dem Dachboden weckt Forscherinteresse eines Buchholzer Musiklehrers

Buchholz. "Du, wir haben eine Geige, da steht Stradivari drauf". Wer könnte, so angesprochen, einfach darüber hinweggehen? Ein Geschichtslehrer in Ruhestand natürlich nicht. Bei einem Familienbesuch in Nordhessen lässt sich Ulrich Funk aus Buchholz, 64, das Musikinstrument zeigen, das sein Neffe vom Dachboden holt. Abgenutzt sieht es aus. Nicht gerade wie die Königin aller Geigen. Der Steg und Saiten fehlen. Der sogenannte Geigenzettel am Korpus weist auf Antonio Stradivari (1644 - 1737) hin, den berühmtesten Geigenbauer aller Zeiten.

"Antonius Stradiuarius Cremonensis Faciebat Anno 1736", lautet die Inschrift auf dem Zettel. Daneben die Initialen mit einem Kreuz. Alle so, wie der große Meister einst wirklich seine Geigen beschriftet hat. Das angegebene Baujahr stimmt mit seiner Lebenszeit überein. Der Meister schrieb nie "Stradivari", sondern stets Lateinisch, weil das damals als schick galt. War ein Fälscher oder Nachbauer am Werk, hat er zumindest die gröbsten Anfängerfehler vermieden.

Ein Beweis für die Echtheit ist der Geigenzettel nicht. Tatsächlich sind nur wenige Instrumente echt, in denen ein Zettel mit dem Namen Stradivari klebt. Immer wieder finden Erben solche Geigen auf einem rumpeligen Dachboden - und werden enttäuscht. Laut dem Internetportal Geige 24 existieren allein in Deutschland Zigtausende von Geigen mit solch einem Zettel. Derartige Papiere mit dem Namen des großen Meisters wurden in Böhmen, Sachsen und anderswo eingeklebt. Gar nicht einmal, um zu betrügen, sondern weil es sich um ein Instrument handelte, das in Anlehnung an Stradivaris Modelle gebaut wurde. Solche Nachbauten könnten immerhin bis einige tausend Euro wert sein.

Beim weltweiten Handel mit Stradivaris, schreibt das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel", werde getrickst und getäuscht wie bei den Hütchenspielern. Auf dem Weltmarkt würden pro Jahr etwa zehn bis 20 Stradivaris von verkaufswilligen Besitzern angeboten. Mehr als sechs Millionen Euro kann eine Stradivari im Topzustand heute auf dem Markt bringen. Selbst lädierte Geigen des Meisters können eine Million Euro wert sein.

Eine echte Stradivari gilt als Ikone des Abendlandes, so wie zum Beispiel die Gutenberg-Bibel. Die weltbesten Künstler schwören auf ihren einzigartigen Klang. Mehr als tausend Instrumente soll Antonio Stradivari bis seinem Tod 1737 gebaut haben. Schätzungen zufolge sind noch etwa 600 Geigen und 60 Celli, die tatsächlich von dem Altmeister stammen, erhalten.

Ulrich Funk versucht auf eigene Faust, mehr über das Familienfundstück herauszufinden. Die Familie seines angeheirateten Neffen habe früher ein Kaufhaus und Grundbesitz "im Osten" gehabt. Der frühere Geschichtslehrer, der von 1977 bis 2010 am Gymnasium am Kattenberge unterrichtet hat, begibt sich besonnen auf die Spur der Geige mit dem Zettel, der den Namen Stradivaris trägt. Das Streichinstrument belässt er in einem Ort bei Kassel. Allein der Name Stradivari, ob echt oder unecht, könnte Einbrecher anziehen. "Die Geige kommt mir nicht ins Haus", sagt Ulrich Funk.

Der schlichte Korpus der Geige stimmt den Buchholzer zumindest skeptisch, dass die Geige wirklich eine Stradivari sein könnte. Auf eine Einschätzung des Geigenhandels und Ausstellers Violin Expo Cologne anhand von Fotos wartet er noch.

Eine Expertin für Antiquitäten ist Ute Ina Gawenda. Sie gibt Sprechstunden an der Kunststätte Bossard. In zwei oder drei Fällen, sagt sie, seien ihr dorthin schon einmal vermeintliche Stradivaris gebracht worden - eine echte sei nie dabei gewesen. Ute Ina Gawenda rät Ulrich Funk, einen Geigenbauer aufzusuchen. "Wenn ich erfahre, dass es keine echte Stradivari ist, dann war es wenigstens ein schöner Traum", sagt Ulrich Funk.