Der Op-Art-Künstler Ludwig Wilding wird mit einer Retrospektive im Kunstverein Buchholz geehrt. Stefanie Maeck hat sich die Ausstellung angesehen

Es ist ein bewegender Moment für Ingeborg Wilding. Jetzt, wo die Werke ihres Mannes an den Wänden des Buchholzer Kunstvereins hängen. Ein bisschen lebt ihr verstorbener Mann, der Op-Art-Künstler Ludwig Wilding in ihnen weiter. Und ein wenig ungewohnt ist es für Ingeborg Wilding, dass nun sie die Pressegespräche zu führen hat, was ihr berühmter Mann früher immer so locker getan hat.

Ingeborg Wilding, eine ältere Dame mit freundlichen blauen Augen hinter einer flotten Brille, blättert einen Katalog mit Werken ihres im vergangenen Jahr verstorbenen Mannes auf und zeigt auf das berühmte Augenmotiv, das 1963 im "Museum of Modern Art" in New York gezeigt - und prompt berühmt wurde.

Berühmt für seine optischen Spielereien, je nachdem, wie sich der Betrachter zum Werk bewegt, verändert sich das Motiv auch für die Wahrnehmung des Auges. Trügerisch. Die Amerikaner waren entzückt und forderten prompt einen Namen. Geboren war die Richtung der "Op-Art" - "Op Art" für optische Kunst. Von hier aus trat sie in den Sechzigern ihren Siegeszug in die Welt an.

Ingeborg Wilding hat ihrem Mann ein ganzes Leben lang ihr freundliches blaues Auge geliehen, hat miterlebt, nachdem sie ihn sehr früh auf einer Vernissage in Augsburg kennen lernte ("Da waren Räume, wo sich alles bewegte. Das war meine Offenbarung"), wie er zunächst an Scheinbewegungen und Stereoskopie in seinen Bildern interessiert war, dann immer mehr die Grenzen überschritt von Wissenschaft und Kunst und sich darin zunehmend erprobte.

Ludwig Wilding studierte Texte befreundeter Wahrnehmungspsychologen und -physiologen und experimentierte immer perfekter damit herum, wie Räume für unser Auge durch die Anordnung von Linien und Strichen entstehen, wie Werke visuell lebendig und räumlich plastisch werden, je nachdem, wie sich der Betrachter zum Kunstwerk bewegt. Räume wölbten sich bei ihm aus den Werken dem Betrachter entgegen, Objekte formten sich im Nu des Augenblicks und gingen je nach Bewegung wieder in andere Formen über, Linien wurden plötzlich zur Fläche oder flohen vor dem Auge des Betrachters in die Tiefe.

Wilding, 1927 geboren, wurde zum Meister der Reduktion auf die Farben Schwarz und Weiß und schaffte mit sogenannten Lineaturüberlagerungen Situationen für das Auge, die ihm Kurven, Wölbungen, Kreislinien oder gar neue Räume aus dem Bild suggerierten - obwohl diese objektiv nicht da waren. Ein trickreiches Trompe loeil, das sein Geheimnis in der Überlagerung von Linien mit verschiedenen Frequenzen hatte.

Ludwig Wilding war ehrgeizig. Er, der jung als Designer in einer Firma zunächst seinen Lebensunterhalt verdiente, verschlang Bücher und schöpfte von überall her Inspiration. Der Besucher der Buchholzer Ausstellung wird Zeuge seiner flirrenden Zauber- und Vibrationskunst, vorausgesetzt, er bewegt sich.

"Das ist entscheidend", sagt Ingeborg Wilding. "Kinetische Kunst hat ja immer einen Motor. Bei der optischen Kunst meines Mannes tut sich jedoch ohne räumliche Bewegung nichts."

Setzt man aber einen Schritt von der zentralen Bildmitte zur Seite, setzt der Zauber ein. Scheinräume tun sich auf, irisierende Flimmereffekte nehmen heutige 3D-Effekte des Films vorweg. Dabei war Ludwig Wilding nicht immer an optischen und kinetischen Spielereien interessiert. Es war in Paris, erinnert sich Ingeborg Wilding, als ihr Mann, der damals noch malte, bemerkte, dass er sein Leben ändern musste. Ingeborg Wilding drückt das auch heute so drastisch aus. Wilding bemerkte selbstkritisch, dass alles künstlerisch schon da war, viele Maler zudem viel besser malten.

Er habe sich dann auf eine Bank auf einen Pariser Kinderspielplatz gesetzt und nachgedacht. Deprimiert natürlich. In einer der kleinen Pariser Galerien um die Ecke fiel Wilding dann ein Bild des Künstlers Nicolas Schoeffer in die Hand und plötzlich wusste er: "Das ist es". Die räumliche Bewegung und die Bewegung von Farbe, das waren seine Aufgaben. Dies war der Initiationspunkt Anfang der Sechziger Jahre und Ingeborg Wilding erzählt voll Freude, dass sie heute, ein Jahr nach dem Tod ihres Mannes, noch Kontakt zur Witwe von Schoeffer habe.

Wilding arbeitete unermüdlich, ohne feste Zeiten und eigentlich immer. Ingeborg Wilding half ihm. Der Erfolg gab ihnen recht. Für ihren Mann gab es nichts anderes als diese besondere Kunst, die das Auge ansprach und herausforderte.

So wurde der Künstler Mitglied der Künstlergruppe "Neue Tendenzen", eine internationale Künstlergruppe, in der sich weltweit Künstler der Op-Art und der kinetischen sowie der Lichtkunst zusammenschlossen. Gemeinsam mit ihrem Mann reiste Ingeborg Wilding in die Kunstmetropolen: Nach Tokio oder New York, einfach überall hin auf der Welt.

Wie die Op-Art nun genau funktioniert, ist etwas, dass alle fragen, sagt Ingeborg Wilding und grinst liebenswürdig. Vieles passiert für das Auge durch die Überlagerung von monotonen Strukturlineaturen und auch der Umstand, dass zwischen den zwei Lineaturen ein Abstand und ein Raum sei, spiele eine Rolle.

Und obwohl die optische Kunst gewissermaßen ein streng wahrnehmungsphysiologisches Fundament hat und auch darauf beruht, dass es eine gewisse Trägheit unseres Auges gibt, das die regelmäßigen Kontraste ab einem gewissen Grad nicht wahrnimmt und statt dessen ein täuschendes Flimmern sieht, so wirkt sie doch wie ein Zauber, dessen sich der Kunstverein Buchholz auch auf der Einladungskarte bedient. Dort kann eine transparente Folie mit Lineatur über die identische gedruckte Lineatur geschoben werden. Je nach Verschiebung der Folie ergeben sich unendliche Variationen und kinetische Spielereien.

Ludwig Wildings Kunst liegt buchstäblich im Auge des Betrachters. In seinem Spätwerk treten zu den Schwarz-Weiß-Kontrasten, denen er 50 Jahre treu war, knallige Farben, wodurch eine vibrationsintensive Farbkunst entsteht. Wellen, Spiralen und Tiefen eröffnen sich dem Auge. Mal wird die Linie zur Welle, zur Schwingung und Bewegung, dann wieder zur reinen Energie.

Wichtig war allen Op-Art-Künstlern, ihren Betrachter an der Kunst zu beteiligen und seine Wahrnehmung direkt anzusprechen. Das Auge hatte gewissermaßen dem Anspruch oder der Anrede des Werkes eine Entsprechung zu geben.

Heute lebt Ingeborg Wilding mit allen Kunstschätzen ihres kunstgeschichtlich berühmten Mannes an den Wänden im beschaulichen Buchholz in der Nordheide, wo es sie seit 1976 zusammen hin verschlug, kurz nach der Berufung Wildings zum Professor an der Hochschule für bildende Künste. Sie erinnert sich: damals sei ihr die Idylle wie Urlaub vorgekommen. Und heute gefällt ihr das Nummernschild. WL - das könnte umgedreht auch für ihren Ludwig stehen.

Eröffnung 20. März (11 Uhr), Kunstverein Buchholz, Kirchenstraße 6 (bis 17. April)