Susanne Mewing ist mit poetischen Augenblicksbildern zu Gast im Schauraum

Märchenhaft sind ihre Bilder. Poetische Augenblicksdarstellungen, von subtilen Materialspuren durchkreuzt. Die Aufmerksamkeit der Illustratorin Susanne Mewing richtet sich genau auf jene fragilen Zwischenmomente, die im Alltag oft unbemerkt vorüberziehen. Ein winziger Augenblick der Unsicherheit, ein leises Schwanken auf eigentlich sicherem Boden, das Kratzen in der Stimme oder der Schweißfleck unter den Achseln. Solche zutiefst menschlichen und verletzlichen Momente sind es, die schnell wieder entgleiten, auf deren Spuren die Zeichnerin Susanne Mewing in ihren Bildern ist.

Fragil und zerstäubend, fast, als wäre nichts gewesen. Jetzt ist die Künstlerin Susanne Mewing mit ihren aus Prinzip immer auch ein wenig unordentlichen und charmant nachlässigen Arbeiten - "ich nutze das, was da ist - aus Prinzip keine hochwertigen Materialien" - zu Gast im Harburger Schauraum.

Fast ein wenig unheimlich wirken dort ihre großformatigen Arbeiten. Zwei bleiche und wie aus der Zeit gefallene Zwillingsschwestern sitzen dort wie aus einem Dostojewski-Roman in nostalgischer Eintracht mit antiquierten Schürzen bei der Handarbeit irgendwelcher Rätseldinge. Diese Zwillingsmomente sind ein wiederkehrendes Moment bei der Künstlerin: das eine und das andere, mehrere Aspekte des Selbst, quasi eine Person bildlich aufgefächert. Mit dem Wort "Deformation" könne sie etwas anfangen, erzählt Susanne Mewing im knallroten Kleid beim Aufbau ihrer Ausstellung.

Deformation natürlich auch in einem inneren, psychologischen Sinne. Es riecht nach Farbe, denn für die Ausstellung wurde im Schauraum eigens gepinselt. Von oben kommt der Duft starken Bohnenkaffees, den Hausherrin Monica Bohlmann gerade aufbrüht. Susanne zündet die selbst gedrehte Zigarette an.

Um "innere Gefangenheiten" kreisten ihre Bilder, erzählt sie. An ein "Dilemma", in dem der Mensch irgendwie verfangen sei, müsse sie manchmal bei ihren Arbeiten denken, sagt Mewing. So auch bei der zweiten großen Papierarbeit mit Titel "Tanzen". Wieder wären da zwei Frauenfiguren. Die eine umklammert ein gelbes Vögelchen, das sie in ihrer Hand zu erdrücken scheint - gelbe Farbverläufe rinnen unheilvoll nach unten.

Die andere scheint sich buchstäblich in den Bildhintergrund zu entleeren: Wolkenartig kringeln sich Gedankenschleifen wie Irr- und Abwege aus dem Kopf, ein poetisches Medusenhaupt. Metaphorisch und dicht sind Mewings irgendwie weiblich und haptisch zu nennende Arbeiten - die stets von einer gewissen Tonalität, Stimmung oder auch von so etwas wie einem "Geruch" und Traumartigem getragen sind. Deren Verletzlichkeit und Zerbrechlichkeit spiegelt sich dabei schon im Material wider. Es gibt Farbverläufe ins Nichts, eingerissene Papiere und Übermalungen.

Gespiegelt und verdichtet werden existenzielle Situationen, in denen Menschen in ihrem Dasein fest stecken, nicht selten werden dafür starke Metaphern gefunden - wie der Mensch, der in einer jener aufblasbaren Rettungswesten unter- und verloren geht. Dabei arbeitet die Künstlerin gerne mit Schichtungen, die immer wieder auch ein kleines Geheimnis ins Bild einschreiben: mal blitzt ein altes Motiv durch, dann wieder werden Materialspuren sichtbar, knisterndes altes Spinnenwebfotopapier vom Flohmarkt ist zu sehen oder auch mal alte Hausfrauenkalenderblätter, die etwas Zeitenthobenes ins Bild und ins Motiv einschreiben.

Vor einiger Zeit ließ sich Susanne Mewing von einem finnischen Hausfrauenbüchlein für "ländliche Hausfrauen" inspirieren. Das, was die Frauen damals dachten und fühlten, die Situationen, in denen sie gefangen waren, fand Mewing durch die Generationen hindurch wieder: moderne Großstadtfrauen tauchen bei ihr im gefühlten Gefängnis ihrer Mütter und Großmütter auf. Niedergestreckt auf dem Boden, über den Stuhl gewickelt und in einer geheimen Hölle gefangen: starke, intuitive und deswegen so stimmige Symbole. Susanne Mewing überzeugt mit echter Sympathie für das Kleinbürgerliche und Verletzlich-Gefährdete in uns.

"Mich berühren Kleingärten und akkurat geschnittene Ritzen zwischen den Gehwegplatten", sagt die Künstlerin. Mewing entdeckt in diesem Momenten auf liebevolle Weise ein prägendes Moment in unseren Biographien, das sie trotzdem in überaus lässigen Skizzen einzufangen vermag. Eine gelungene Spannung.

In ihrer aktuellen Ausstellung "Zugpferde" hat sich zu den poetischen Augenblicksdarstellungen ein neues Moment hinzugesellt: einige Arbeiten tasten sich in eine gewisse Dreidimensionalität und Plastizität vor: Aus der Kindheit entlehnt Mewing die Beweglichkeit des Hampelmanns und verleiht einigen ihrer Motive die Möglichkeit, per Zug lebendig zu werden - Arme und Beine können durch Ziehen gehoben werden.

Eine Reminiszenz an die Kindheit, aus der die erinnerten Zwischenmomente oft kämen, so die Künstlerin.

Doch ins Schöne und Nostalgische der Zwischenmomente schreibt Mewing immer auch das Schreckliche, das Gefährdete und Schmerzvolle ein: Im Spielerischen offenbart sich eine Gefangenheit, in der Freude der Handarbeit blitzt die Brutalität der Hand auf und in der tanzenden Bewegung offenbart sich plötzlich ein Moment von Erstarrung und Stagnation.

Das eine und das andere. Neben den großformatigen Papierarbeiten aus Acryl, Bleistift und Kugelschreiber gibt es auch eine Reihe kleinerer Papierarbeiten zu sehen. Vor dem Zubettgehen entstünden sie oft, so Susanne Mewing, die lange Zeit auf der Elbinsel Wilhelmsburg arbeitete. Eine Nähe zur Logik des Traums oder des Alptraums, wenn sich die tagesaktive Ratio schon ein wenig ausgeklinkt hat und das Surreale mit seinen Symbolen lebendig wird, ist in diesen Papierarbeiten nicht zu verkennen.

Susanne Mewing überzeugt mit ihrer Sensibilität für das Einmalige, für Gefühl, Schmerz und Einsamkeit. Mit Linie und Fläche verewigt sie Momente, in denen viel flüchtige Wahrheit steckt und bleibt einer der aufregendsten Geheimtipps nördlich und südlich derElbe.

Vernissage "Zugpferde - Arbeiten auf Papier" im Schauraum von Monica Bohlmann (Schwarzenbergstraße 42/ Hof) ab 3. März bis 20. März. Sa. und So. 16-18 Uhr.