Wenn die Wilhelmsburger Reichsstraße verlegt wird, werden viele Bewohner der Elbinsel besser schlafen können. Umweltsenatorin: “Einmalige Chance.“

Veddel/Wilhelmsburg. Die Senatorin machte sich einen kleinen Spaß am Rednerpult, und keiner der 120 Zuhörer in der Aula der Schule Slomanstieg auf der Veddel bemerkte es: Stadtentwicklungs- und Umweltsenatorin Dr. Herlind Gundelach (CDU) fing an, über die Vorteile einer Verlegung der Wilhelmsburger Reichsstraße (B 4/75) auf den Bahndamm zu reden - aber es waren gar nicht ihre Worte, sondern die eines "Weißbuches", das 21 Wilhelmsburger zwischen Mai 2001 und Januar 2002 erarbeitet und verfasst hatten: "Die Wilhelmsburger Reichsstraße stellt eine schwer zu überwindende Barriere im Herzen der Insel Wilhelmsburg dar. Von ihr gehen zahlreiche Beeinträchtigungen der Lebensqualität aus. Zugleich verhindert sie eine attraktive Entwicklung."

Nach 30 Sekunden klärte Senatorin Gundelach das Auditorium auf: "Ich zitiere aus dem 'Weißbuch' der Zukunftskonferenz Wilhelmsburg, das einige von ihnen mit verfasst haben." In der Aula saßen an diesem Montagabend - wie bei bislang allen Informationsveranstaltungen zu Straßenprojekten im Hamburger Süden - vorwiegend Gegner einer Reichsstraßenverlegung; viele von ihnen sind Kirchdorfer Eigenheimer oder wohnen in Georgswerder.

Erstmals aber kamen die Gegner nicht mit Plakaten in den Saal, und es wurde nicht gepfiffen und gebuht. Und erstmals sollte es auch von Gegnern der Verlegung Beifall für die Planer der Verlegung geben. Denn, das sollte der Abend zeigen: Die Verlagerung der Reichsstraße auf den Bahndamm soll für 25 000 Menschen der Elbinsel einen besseren Lärmschutz bringen.

Herlind Gundelach hatte indes nicht genug vom "Weißbuch". Genüsslich zitierte sie aus Seite 28: "Die Verlagerung der Wilhelmsburger Reichsstraße an die Bahntrasse bietet so große Chancen für eine positive Entwicklung der Wilhelmsburger Mitte, da so attraktive Flächen für hochwertige Nutzungen geschaffen werden können. Die negativen Auswirkungen der Wilhelmsburger Reichsstraße (Verlärmung und Zerschneidung) könnten durch eine Zusammenlegung mit der Bahntrasse reduziert werden. Dabei muss gleichzeitig auf beiden Seiten der gemeinsamen Straßen-/Bahntrasse ein hocheffizienter Lärmschutz realisiert werden."

Den dürften die Elbinselbewohner jetzt bekommen: Denn der Bund - also die deutschen Steuerzahler - will jetzt nicht wie einst geplant 9,9 Millionen Euro für den Lärmschutz ausgeben, sondern 35,8 Millionen Euro. Dafür bekommen die Wilhelmsburger fünf Lärmschutzwände: Zwei sollen vor dem Reichsstraßenlärm schützen und drei vom Lärm von Fern- und Güterverkehr und S-Bahn. Der Lärmschutz entlang der Reichsstraße soll insgesamt 8,5 Kilometer lang und 35 000 Quadratmeter groß sein - der Lärmschutz für die Bahngleise 6,2 Kilometer lang und 25 000 Quadratmeter groß; maximale Höhe: sechs Meter.

"Diese Bündelung des Lärmschutzes von Straße und Schiene ist ein absolutes Pilotprojekt in Deutschland und eine große Chance für die Wilhelmsburger", sagte der Bereichsleiter Nord der Deges Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und -bau GmbH in Berlin, Bernd Rothe. Wilhelmsburg habe nur dann einen Anspruch auf einen vom Bund finanzierten Lärmschutz, wenn eine neue Reichsstraße auf dem Bahndamm entstehe - nicht für die Bahngleise ohne eine Verlegung.

Rothe sagte, dass die Verlegung 25 000 Menschen in puncto Lärmschutz eine Verbesserung bringe. Zurzeit seien 10 916 Wohneinheiten mit Lärm von mehr als 50 Dezibel belastet - nach der Verlegung nur noch 2752, "aber auch bei denen wird es besser".

Kritik kam indes vom Wilhelmsburger Aktivisten Professor Michael Rothschuh: "Wenn denselben Leute, die vor einigen Monaten noch gesagt haben, das alte Lärmschutzkonzept sei vollkommen ausreichend, hören wir jetzt, dass unbedingt nachgebessert werden muss - dieses Vorgehen schafft keine Glaubwürdigkeit."

Am heutigen Mittwoch wird die Bürgerschaft mit den Stimmen von CDU und GAL Hamburgs Baukostenanteil von 10,4 Millionen Euro bewilligen und das Planfeststellungsverfahren einleiten. Die Planungskosten für die Stadt haben sich von bisher 9,6 Millionen Euro um 10,3 Millionen Euro auf 19,9 Millionen Euro mehr als verdoppelt. Auch die Baukosten haben sich von 67,4 Millionen Euro auf 136,3 Millionen Euro mehr als verdoppelt.

Im Gespräch mit dem Abendblatt sagte Senatorin Gundelach, das Planfeststellungsverfahren werde "in ein bis zwei Wochen" eröffnet. Sicherlich werde es im Laufe des Verfahrens auch noch Änderungen geben. So sei die Abfahrt Rotenhäuser Straße "noch offen", sie könne auch weiter nördlich oder südlich liegen. Das Fazit der Wilhelmsburgerin: "Es handelt sich um eine einmalige Chance für Wilhelmsburg."