Jede Schicht dauert vier Stunden, dann kommt die Ablöse: In der Elbmarsch beobachten Deichläufer Hochwasser und Deiche rund um die Uhr.

Marschacht/Hohnstorf. "So ein Hochwasser habe ich noch nicht gesehen. Muss ich mir Sorgen machen?", fragt der junge Mann und schaut staunend über die überfluteten Wiesen der Marschlandschaft. Frank Hoop schüttelt den Kopf. "Kein Grund zur Sorge, bis zur Deichkrone sind noch etwa zwei Meter Platz", beruhigt er den Familienvater. Vor etwa einer Stunde ist Frank Hoop, 43, zusammen mit Michael Glasbrenner, 40, zu seinem Kontrollgang aufgebrochen.

Seit Sonnabendmittag sind auch im Landkreis Harburg Deichläufer an der Elbe unterwegs. Vier Stunden dauert ihr Einsatz, dann werden sie abgelöst. Sie gehen die Binnen- und Außenseite der Deiche ab und sehen nach dem Rechten. Auffälligkeiten haben sie per Handy zu melden.

"Dabei ist die Lage im Landkreis Harburg gegenüber dem Landkreis Lüneburg relativ entspannt", sagt Hartmut Burmester, Deichhauptmann des Artlenburger Deichverbands, der für die Landkreise Harburg und Lüneburg zuständig ist. 53 Kilometer Elbdeiche, von der Ilmenaumündung bis Bleckede fallen in den Zuständigkeitsbereich des Verbandes, das Niederungsgebiet der Winsener und Lüneburger Elbmarsch.

Seit Freitag, 14. Januar, herrscht im Landkreise Lüneburg Alarmstufe eins. Da stand der Wasserpegel in Hohnstorf bei 7,40 Metern. Vier Tage später überschritt er die acht Meter Marke, Alarmstufe zwei wurde ausgerufen.

Seit dem ist das Verbandsbüro in Hohnstorf Tag und Nacht besetzt.

An der Elbe gehen jeweils zwei Grundeigentümer, die sich freiwillig für diesen Dienst gemeldet haben, die gefährdeten Deiche ab - rund um die Uhr. Alle vier Stunden werden die Deichläufer abgelöst. Haben sie etwas zu melden, rufen sie im Verbandsbüro an. "Aber seit für den Landkreis Lüneburg der Katastrophenalarm ausgerufen wurde, sind wie nur noch ein Rädchen im großen Getriebe. Es wurde ein Krisenstab eingerichtet, der in der Scharnebecker Feuerwehr sein Quartier bezogen hat", sagt Hartmut Burmester, fährt sich mit der Hand über das Gesicht, seit Tagen schiebt er Zwölf-Stunden-Schichten.

Längst ist klar, dass das aktuelle Hochwasser den Spitzenpegelstand von 2006 toppen wird. Damals lag er bei 9,11 Metern in Hohnstorf. "Wir rechnen jetzt mit 9,15 Metern", so der Deichhauptmann. Brechen werden die Deiche nicht, da ist er sich sicher. "Den Hochwasserscheitel erwarten wir für unseren Bezirk für Sonnabend beziehungsweise Sonntag."

Deshalb herrschte seit Sonnabendmittag auch im Landkreis Harburg Alarmstufe zwei.

"Man soll uns im Nachhinein keine Fahrlässigkeit vorwerfen können. Deshalb patrouillieren auch in den vier Wachbezirken Avendorf, Tespe, Marschacht und Rönne rund um die Uhr Deichläufer", sagt Helmut Burmester und fährt mit dem Finger über die Karte, die an der Wand des Verbandbüros hängt. Von der Landkreisgrenze bis zur Rönner Elbbrücke.

Michael Glasbrenners und Frank Hoops Zuständigkeitsbereich: Der Deichabschnitt vom Altenheim Marschacht bis Tespe. Zu erkennen sind die Deichläufer an den neongelben Westen und der Aufschrift "Deichschutz". "Bisher ist alles ruhig", sagt Michael Glasbrenner. "Wir achten vor allem auf Treibgut, wie Baumstämme, das den Deich beschädigen kann", sagt der Deichläufer. Auch Bisamratten seien ein Problem. Die Deichläufer achten auf Wundstellen und Ausrisse in der Grasnarbe, Ausspülungen oder Ausschürfungen. Auch bei dem sogenannten Qualmwasser, Grundwasser, das aufgrund des hohen Drucks unterhalb des Deichs durchfließt und auf der anderen Seite wieder austritt, müssen die Männer genau hinschauen. Fließt Sand mit ab, müssen sie Meldung machen. Denn dann wird der Deich mit abgetragen. "Aber momentan besteht keine Gefahr, das Wasser wird über Kanäle in die Binnenmarsch abgeleitet."

Michael Glasbrenner und Frank Hoop sind in der Elbmarsch geboren, mit dem Wasser aufgewachsen. "Noch nie ist das Hochwasser über den Kopf des Deiches geschwappt", sagt Hoop. Das sagen sie auch den zahlreichen Schaulustigen, die zum Deich gekommen sind.

"Es ist wichtig, dass die Ausflügler die geteerten Wege nicht verlassen, sonst könnte der Deich beschädigt werden. Betritt man ihn doch, muss man mit einem Bußgeld rechnen", betont Gunnar Peter von der Deichbehörde des Landkreises Harburg. An diese Betretungs- und Benutzungsverbote hält sich längst nicht jeder. Auch fahren viele Schaulustige bis nah an den Deich heran und blockieren so die Zufahrtswege.

Besonders Menschen, die nicht in den Elb-Orten aufgewachsen sind, wollen sich das Naturereignis anschauen.

"Wir haben in Marschacht viele Zugezogene", sagt Petra Flindt und schaut auf die Elbe. Wasser soweit das Auge reicht. "Die sind bei diesen Massen sehr überrascht und verunsichert. Als ich klein war, hatten wir hier zwei Mal im Jahr Hochwasser." Die Anwohnerin lebt seit ihrer Kindheit an der Elbe.

Aber gerade für die Neubürger sind Michael Glasbrenner und Frank Hoop wichtige Ansprechpartner. Viele Zugezogene wenden sich mit ihren Fragen an die Deichläufer.

So wie Matthias Börner, 30, und Verena Waldmann, 30. Sie wohnen seit 2006 in Marschacht. "Ich komme aus dem Harz, da gibt es kein Hochwasser", sagt die junge Frau lachend. Nein, Angst hat sie keine. "Wir haben uns bei Nachbarn, die schon lange in der Elbmarsch wohnen, informiert", sagt Matthias Börner. "Seitdem sind wir beruhigt." Deshalb macht es ihnen auch nichts aus, dass erst Mitte der Woche mit einem sichtbaren Rückgang des Wassers zu rechnen ist.

Aktuelle Pegelstände können unter www.bafg.de in der Rubrik "info-service" abgefragt werden.