Eine Glosse von Petra Sonntag

Gemeinsame Wartezeiten mit Fremden sind eine Herausforderung. Sich gegenseitig anzuschweigen, gehört sich offensichtlich nicht, also beginnt die Suche nach Themen, die eine zumindest kurzzeitige, wenn nicht gleich kurzweilige Konversation möglich machen. Der Engländer beginnt jedes Gespräch mit der Frage, wie sein Gegenüber die herrschende Witterung beurteilt. Auch mein Zahnarzt wollte mir neulich die Zeit auf seinem Behandlungsstuhl vertreiben und griff zum selben Thema.

Während seine Sprechstundenhilfe die Masse für einen Zahnabdruck anrührt, stellt er fest: "Manchen reicht es ja schon mit dem Schnee für diesen Winter." Ich antworte, dass ich die verschneite Landschaft überaus schätze. Während ich, den Mund voller Masse, zum Schweigen verurteilt bin, pflichtet er mir bei, Schnee gehöre nun mal zum Winter. Das Gespräch hätte hier beendet sein können.

Doch wir gehen in die nächste Runde. Nicht nur, dass der Abdruck wiederholt werden muss. Jetzt schaltet sich auch seine Sprechstundenhilfe in die Konversation ein. Während ich erneut mundtot auf das Erhärten des Abdrucks warte, berichtet sie von einer Urlaubsbegegnung in Spanien. Ein ausgewanderter Deutscher habe sich nach unserem Winter gesehnt.

Danach erörtern wir den Zustand der Straßen bei Eisglätte. Nun, nicht direkt wir, ich höre eher zu, während die Masse im Formlöffel aushärtet.

Nach anderthalb Stunden verlasse ich die Praxis - um eine Erkenntnis reicher: Es geht nicht ums Wetter beim Warten. Sondern schlichtweg darum, betretenes Schweigen vermieden zu haben.