Richtlinie des Bundesverkehrsministeriums lässt notwendige Nachpflanzungen zu teuer werden

Elstorf. Alleen könnten in einigen Jahrzehnten ganz aus der Landschaft in Niedersachsen verschwunden sein. Das befürchtet der CDU-Landtagsabgeordnete Heiner Schönecke aus Elstorf. Weil das Bundesland bei Verkehrsunfällen auf Landstraßen bundesweit Spitzenreiter ist, werden Bäume im Zweifelsfall abgeholzt. Eine Richtlinie des Bundesverkehrsministeriums beschleunigt das Alleensterben: Die Umsetzung verteuert de facto Nachpflanzungen außerhalb geschlossener Ortschaften derart, dass Städte und Gemeinden aus Geldmangel darauf verzichten müssen. Die Landkreis-Verwaltung arbeitet mittlerweile an einem Konzept, Alleen zu schützen.

Die "Richtlinien für passiven Schutz an Straßen durch Fahrzeug-Rückhaltesysteme" des Bundesverkehrsministeriums, kurz RPS-Richtlinie, sieht vor, dass Straßenbäume außerhalb geschlossener Ortschaften nur dann nachgepflanzt werden, wenn sie mindestens 7,50 Meter von der Fahrbahn entfernt stehen. Gilt das Höchsttempo 70, kann der Abstand auf 4,50 Meter verkürzt werden. In der Praxis bedeuteten diese Mindestabstände, dass zum Erhalt von Alleen an beiden Straßenseiten jeweils vier Meter lange Grundstücksstreifen zusätzlich benötigt würden. Grund und Boden, meist von daneben liegenden Äckern, müsste hinzugekauft werden - zu teuer für die Kommunen. Die Folge: Städte und Gemeinden verzichten auf neue Straßenbäume. Die Alleen verschwinden schleichend in den nächsten Jahrzehnten.

Niemand in Niedersachsen hat offenbar bisher die Auswirkungen der RPS-Richtlinie von 2009 als Problem gesehen. Zum 31. Dezember 2010 wird ihre Anwendung verbindlich. Bisher gilt sie als Empfehlung. Die Niedersächsische Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr hat sie in vorauseilendem Gehorsam bereits jetzt als "grundsätzlich verbindlich" eingeführt.

Inzwischen kommen nicht nur Heiner Schönecke Bedenken. Die Stadt Löningen im Oldenburger Münsterland sieht den Alleenbestand an ihrer neu gebauten Entlastungsstraße "Nord-Ost-Tangente" als bedroht an. Bei rigorosem Anwenden der RPS-Richtlinie seien Anpflanzungen von hochstämmigen Bäumen aus wirtschaftlichen Gründen zukünftig nicht mehr zu erwarten, heißt es in einer Verwaltungsvorlage der Stadt. Die typische Landschaft des Oldenburger Münsterlandes, geben die Stadtväter und -mütter zu bedenken, ginge verloren. Ein Pfund, mit dem die Region wuchert. Eine Bürgerinitiative aus Huntenburg bei Osnabrück macht gegen den Tod der Alleen mobil, sammelte mehr als 1000 Unterschriften im Dorf. Die RPS-Richtlinie beginnt, den Wutbürger zu erzürnen.

"Alleen sind ein Jahrhunderte altes Kulturgut", sagt Heiner Schönecke. Der Politiker ist Landwirt, seine Familie betreibt einen bis nach Hamburg bekannten Hühnerhof. Für Schönecke gilt die Regel: "Sägt ein niedersächsischer Bauer einen Baum ab, pflanzt er einen nach." Die Allee aber werde der Straßensicherheit geopfert.

Heiner Schönecke rechnet vor: 87 790 Straßenbäume stehen zurzeit noch an den Bundes-, Landes- und Kreistrassen im Landkreis Harburg. Pro Winter lässt das zuständige Betriebsgemeinschaft Straßendienst nach eigenen Angaben etwa 300 bis 400 Bäume fällen. "In 50 Jahren stehen keine Bäume mehr", sagt Schönecke. Im Umkreis seines Heimatortes Elstorf seien in diesem Winter Hundert Meter lange Lücken in Baumreihen gerissen worden. Der Alleencharakter ginge jetzt schon verloren.

Heiner Schönecke hat bereits vor mehr als 25 Jahren gegen das Alleensterben in seinem Wohnort gekämpft. Sozusagen ein Mahnmal ist die Lindenstraße in Elstorf, Bundesstraße und Hauptstraße der Neu Wulmstorfer Ortschaft zugleich. Früher eine Allee, sind die Straßenbäume heute weitgehend verschwunden. Abgeholzt, weil die Geschäfte an der Lindenstraße Parkraum für Kunden brauchten.

Wie ist der Landespolitiker heute auf die Auswirkungen der RPS-Richtlinie gestoßen - eine bisher in der Öffentlichkeit unbekannte technokratische Norm? Bürger fragten ihn, was denn die roten und grünen Markierungen an Straßenbäumen entlang der Bundesstraße und der Landesstraße zwischen Neu Wulmstorf und Elstorf bedeuten würden. Die Betriebsgemeinschaft Straßendienst hatte sie markiert: Rot bedeutet Abholzen, grün das Beschneiden - alles zur Verkehrssicherheit. Die Bäume sind morsch, könnten umstürzen oder Äste verlieren. Als Schönecke nachhakte, bekam er zu hören, dass die Bäume außerhalb der Ortschaft wegen der RPS-Richtlinie nicht nachgepflanzt würden. Schönecke: "Das trifft mich wie ein Donnerschlag."

Inzwischen hat Schönecke, stellvertretender Landrat im Landkreis Harburg, die Verwaltung im Winsener Kreishaus mobilisiert. Die Kreisverwaltung sieht das Problem, dass außerhalb geschlossener Ortschaften nicht mehr nachgepflanzt werden könnten. "Die Sorge ist nicht ganz unberechtigt", sagt Kreisrat Björn Hoppenstedt. Der "Betrieb Kreisstraßen" arbeite zurzeit an einem Konzept, wie Alleen geschützt werden könnten. Eine Möglichkeit wäre, Alleen mit Leitplanken nachzurüsten. Das sei aber teuer und optisch nicht gerade einladend, so Hoppenstedt. Eine Alternative könnte ein Tempolimit entlang von Alleen sein: Tempo 50, auch außerhalb der Ortschaften.

Der Landkreis Harburg könnte den Alleenschutz auch als Ziel im regionalen Raumordnungsprogramm verankern. Das könne die Richtlinie aber nicht aushebeln, sagt der Kreisrat. Das Ziel "Alleenschutz" würde vielmehr ein politisches Zeichen sein. Der Landkreis Harburg könnte sich sozusagen selbst die Priorität setzen, möglichst oft Grund und Boden aufzukaufen, sollten tatsächlich Alleen bedroht sein. Der Planungsausschuss des Kreistages wird das Thema in 2011 beraten. Laut Schönecke habe auch der CDU-Fraktionsvorstand im Niedersächsischen Landtag den Alleenschutz als Thema erkannt.