Der Prozess gegen Amor S. und Avni A. beschäftigt den Stadtteil

Neuwiedenthal. Lebkuchen, Zimtsterne und Baumkuchen: Bei Bäckerei Finck am Rehrstieg zeigt fast jeder Kunde mit seinen Bestellungen, dass in Neuwiedenthal Weihnachtsstimmung einkehrt. Nebenan, beim Weihnachtsbaumverkauf, decken sich schon einige mit Nordmanntannen ein. 'Merry Christmas, fröhliche Weihnachten' leuchtet es bunt aus einem Fenster eines benachbarten Hochhauses. "Wenn da nur nicht dieser schreckliche Prozess wäre", sagt Birgit Finck, die seit 30 Jahren am Standort Backwaren verkauft.

Denn Amor S. und Avni A., die sie aus dem Viertel kennt, stehen vor Gericht. S. soll den Polizeibeamten Günther J. übel zugerichtet haben, A. soll einem weiteren Polizisten in den Rücken gesprungen sein. Günther J. leidet noch heute unter den Folgen seiner Gesichtsverletzungen, hätte beinahe sein Augenlicht verloren und war vier Monate krank geschrieben. Ein Beamter schilderte die Situation am Tatort während der Verhandlung als lebensbedrohlich.

"Es ist ruhig geworden seit diesem Vorfall", sagt Birgit Finck. "Klar, hier gibt es viele Chaoten. Wenn diese Typen in den Laden kommen, sind sie allerdings friedlich." Aber wenn Finck am späten Abend eine Gruppe Jugendlicher sieht, alle dunkel gekleidet, mit kurz geschorenen Haaren, "kann man schon Angst kriegen, da geht man lieber auf die andere Straßenseite." Schon dreimal hätten Kriminelle ihr die Scheiben ihres Geschäfts eingeschlagen. Sie hat von dem Überfall gehört, bei dem kürzlich drei Männer den Fahrer eines Lieferdienstes niederschlugen. Zuvor hatte der sein Auto am Rehrstieg abgestellt

Die Täter stahlen fünf Pakete aus seinem Wagen und flüchteten. "Früher, vor 20 Jahren, war es schöner hier." Und es sei leichter gewesen mit dem Geschäft. "Damals hatten wir 48 Mitarbeiter, jetzt sind es nur noch 18." Viele Leute, "die halbwegs gut verdient haben", so Finck, "sind inzwischen weggezogen". Einmal sei sie bei einer Ortsausschuss-Sitzung gewesen. "Das ist die Schuld der Politik, dass wir hier so eine Siedlungsstruktur mit verhältnismäßig vielen Menschen in prekären Lebenssituationen haben. Abgeordnete, die in Blankenese wohnen, können sich ja nicht vorstellen, wie der Alltag hier ist." Immer noch sei für einige Bewohner die Hemmschwelle zu handfesten Auseinandersetzungen niedrig. Wenige Meter von der Bäckerei entfernt, am Bahnhof, ist es fast wieder soweit. Ein junger Mann verliert die Leine seines Hundes. "Mistköter", schreit er sein Haustier an. "Lass das Tier in Ruhe, oder ich klatsch dir eine", sagt ein Mann, der hinter ihm geht. Nur die Freundin des Hundehalters verhindert dann, dass es zu einer Prügelei kommt.

Der angemessene Umgang mit Konfliktbewältigung und Aggressionen, das würden einige Neuwiedenthaler Kinder nicht automatisch zu Hause lernen. "Da muss ich als Cop for You schon in der Grundschule zeigen, wie das geht", sagt ein bürgernaher Beamte, der regelmäßig in Neuwiedenthaler Quartier auf Streife geht.

Sein Chef, Mathias Malowitz, Leiter des Polizeikommissariates 47, bestätigt diese Einschätzung. "Bei den Jüngeren nützen diese Gespräche auch noch etwas, die Botschaften, nicht auf Schwächere loszugehen und gewaltfreien Lösungen zu suchen, kommen an", sagt er. Bei den Älteren sei das schwierig. Da habe sich ein bestimmtes Verhalten verfestigt. Dass Bürger leichte Angst verspüren, wenn sie eine Gruppe Halbwüchsiger auf der Straße sehen, die gestikulieren und sich laut unterhalten, und denen dann lieber aus dem Weg gehen, kann er verstehen. Allerdings: "Die Jugendlichen können nicht immer zu Hause hocken, haben es mit ihren Eltern nicht in jedem Fall leicht." Geld für Kinobesuch oder andere Freizeitbeschäftigungen sei meist keines da. Draußen vor dem Wohnblock sein, mit Freunden aus dem Viertel herumalbern, das sei für diese jungen Leute die einzige Abwechslung. Nur die wenigsten seien seiner Einschätzung nach gewaltbereit. "Hier ist es nicht gefährlicher, als anderswo."

Das bestätigt Olga Schwab. Die junge Frau lebt schon seit 13 Jahren in Neuwiedenthal. "Die Schlägerei im Juni - das ist hier nicht an der Tagesordnung." Ebenfalls keine Furcht hat Mevlüde Vesek, die neben dem Geschäft des Vaters des Angeklagten Amor S. einen Schlüsseldienst betreibt. "Nein, ich bin nicht ängstlich", sagt sie. Kontakt zu ihren Nachbarn hat Vesek allerdings nicht. Das soll auch so bleiben, sagt sie.