Die Vorfahrt ist die schönste Verkehrsregel. Ich komme mit meinem kleinen alten Auto angetuckert, und der große dicke schnelle 100 000-Euro Schlitten muss in der Einmündung der Seitenstraße warten. Ich könnte dem Fahrer jetzt noch huldvoll zuwinken, aber so gemein bin ich nun doch wieder nicht. Noch erhebender ist das Gefühl an der Autobahn-Einfahrt.

Der Super-Sportwagen will sich einfädeln, ich würde für ihn sogar auf die mittlere Spur wechseln, aber das geht im Moment nicht. Also vom Gas runter und ihn hinein lassen? Nein, der muss jetzt warten, sage ich mir. Schon nach wenigen hundert Metern wird er mir sowieso seinen hässlichen Auspuff zeigen, aber wenigsten in diesem Moment bin ich vor ihm und schneller.

Aber ich kann auch anders.

In ausgeschlafenem und gut gelauntem Zustand verzichte ich mit generöser Geste auf meine Vorfahrt. Der große HVV-Bus wartet bestimmt schon seit zwei Minuten auf eine Lücke in der Vorfahrtsstraße, ich lasse ihm diese Lücke. Sehr zum Ärger meines ungeduldigen Hintermanns, der mich böse anhupt. Wir hatten doch Vorfahrt, du Depp! Schon ein Stückchen weiter ärgere ich ihn wieder. Hinter einem entgegenkommenden Linksabbieger hat sich eine lange Schlange gebildet. Ich blinke ihn kurz an, er biegt ab, und ich habe einen Stau aufgelöst, umsichtig und rücksichtsvoll wie ich nun einmal bin.

Eigentlich müsste die Polizei auch auf solche Situationen achten, nicht nur auf die Raser und Rot-Fahrer. Der vorbildliche Fahrer dürfte sich dann Anerkennungs-Plaketten in Gold, Silber oder Bronze an die Windschutzscheibe kleben. Ich hätte es bestimmt schon zum Gold gebracht.