Eine Liebeserklärung an einen oft verkannten Stadtteil und Bezirk

Hamburger Hauptbahnhof. Gleis 4. Nachmittags. "S3 Richtung Stade fährt ab!" schallt es durch die Lautsprecher. Eine junge Frau sprintet die Treppen hinunter und schafft es in letzter Sekunde mit beiden Händen in den Türspalt der S-Bahn, die mit piependen Tönen ihre Abfahrt andeutet. Die Frau verzieht angestrengt die Miene und macht keine Anstalten, sich den Reiseplänen der S-Bahn geschlagen zu geben. Da der Zugführer nicht losfahren kann mit einer rebellierenden Frau im Türspalt, ist er gezwungen nachzugeben. Er öffnet die Türen wieder und die junge Frau, die mit ihrer Hartnäckigkeit wahrscheinlich auch einen Castor-Zug gestoppt hätte, setzt sich zufrieden auf einen freien Platz.

Ein älteres Ehepaar ein Stück weiter entfernt tuschelt: "Die wohnt bestimmt in Harburg. Immer mit dem Kopf gegen die Wand und dabei ein ganzes Haus umstürzen!" sagt der alte Herr. Mit einer selbstverständlichen Miene antwortet seine Gattin "Ach ja, diese Harburger."

Ach ja, Harburg. Da war doch noch dieser ungeliebte Ort südlich der Elbe, der ein raues R statt dem M seines großen Bruders im Namen trägt. Aber ist Harburg überhaupt der kleine Bruder der Großstadt? Oder eher sein siamesischer Zwilling, mit dem die Metropole nebenan eigentlich nichts zu tun haben will? Was ist Harburg eigentlich?

Ein Problemvorort voller Wettbüros, Nagelstudios, Solarien und gefühlten hundert Dönerbuden? Ich finde nicht. Ich bin glücklicher Harburger und meine, dass jeder das werden kann. Man muss nur die wichtigen Punkte in Harburg kennen.

Da gibt es die Kunstgalerie im alten Bahnhof und das "Stellwerk" nebenan. Da sind die schönen Cafes und der Genussladen um den Sand herum. Es gibt den "Old Dubliner" und das "Consortium" nahe der Lämmertwiete. Harburg hat einiges an Kultur. Vielleicht fällt es nicht so auf, weil das ganze Drumherum fehlt, was man aus Hamburg kennt. Denn die Modeketten und Delight-Cafés gibt es in Harburg höchstens im Phoenix-Center.

Und wenn ich am Wochenende von der Schanze oder vom Kiez zurückkomme und an der ehemaligen Phoenix-Fabrik vorbeilaufe, bin ich immer wieder erstaunt. Hier wird nachts gearbeitet. Funken der Schweißgeräte fliegen gegen die Fensterscheibe. Von außen denkt man, das Flackern käme von einem Fernseher. Harburg ist eben doch mehr, als es scheint.

Lukas Reiche ist Harburger und 18 Jahre jung. Er ist Auszubildender zum Medienkaufmann bei Axel Springer und hat vier Wochen in der Redaktion der Harburger Rundschau mitgearbeitet.