Nach dem Bruch der schwarz-grünen Koalition machen sich Politiker über das Straßenbauprojekt Gedanken

Wilhelmsburg. Soll die Wilhelmsburger Reichsstraße in Richtung Osten auf den Bahndamm verlegt werden? Ist die Verlegung noch pünktlich bis zur Internationalen Gartenschau (igs) im Frühjahr 2013 zu schaffen? Und müssen die Pläne für das Straßenbauprojekt noch verändert werden? Diese Fragen stellen sich Wilhelmsburger Politiker und Straßenbaugegner nach dem Ende der schwarz-grünen Koalition in Hamburg.

Die Koalition, aber auch die oppositionellen Sozialdemokraten im Rathaus, hatten sich bislang grundsätzlich für eine Verlegung der Reichsstraße ausgesprochen. Am 8. Oktober 2009 hatte die grüne Stadtentwicklungssenatorin Anja Hajduk stolz verkünden lassen: "Die Wilhelmsburger Reichsstraße soll nach der grundsätzlichen Zustimmung des Bundesverkehrsministeriums (...) neben die bestehende Bahntrasse verlegt werden. Der Bund und Hamburg haben sich nunmehr auf eine gemeinsame Finanzierung der Verlegung der Wilhelmsburger Reichsstraße nach Osten an die westliche Seite der vorhandenen Bahntrasse geeinigt. (...) Diese Vereinbarung gibt die Möglichkeit, eine Verlegung der Wilhelmsburger Reichsstraße schon zur IBA und igs im Jahre 2013 zu realisieren."

Die Kosten für die Reichsstraße wurden seinerzeit auf 67,4 Millionen Euro beziffert. Die Vereinbarung sieht vor, dass Hamburg sich mit 10,4 Millionen Euro beteiligt und dazu noch die Planungskosten von 9,6 Millionen Euro trägt. Im Oktober 2010 sollte die Hamburgische Bürgerschaft über das Projekt abstimmen - der Punkt wurde vertagt. Das für Spätherbst avisierte Planfeststellungsverfahren, das mindestens ein Jahr dauern wird, wurde auch aufs kommende Jahr verschoben. Bereits im September dieses Jahres hatte Senatorin Hajduk erklärt: "Es gibt zeitliche Risiken".

Einen Tag nach dem Ende der Koalition glaubte in Wilhelmsburg niemand mehr daran, dass die Reichsstraße bis zum Frühjahr 2013 verlegt sein wird - die mögliche Folge: Die Gartenschau würde von einer vierspurigen Schnellstraße durchschnitten werden, die täglich von 55 000 Fahrzeugen befahren wird. "Die neue Reichsstraße wird bis zur Gartenschau niemals fertiggestellt werden, das muss man jetzt aber einmal deutlich sagen", brachte es der Veddeler Mitte-Abgeordnete Klaus Lübke (SPD) auf den Punkt. "Jetzt haben wir die einmalige Chance, die Pläne bezüglich der Abfahrt Rotenhäuser Straße und des Lärmschutzes zu verbessern. Dann wird die Straße eben erst 2018 fertig."

"So wie die Planungen zur Zeit stehen, bin ich gegen eine Verlegung der Reichsstraße", sagte der SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Metin Hakverdi aus Wilhelmsburg. Die Sozialdemokraten würden an die Verlegung der Reichsstraße drei Bedingungen knüpfen: Erstens keine Abfahrt an der Rotenhäuser Straße. Zweitens ein verbesserter Lärmschutz vor allem für Kirchdorf. Und drittens ein Gesamtverkehrskonzept für den Hamburger Süden. Hakverdi will bei den Bürgerschaftswahlen im Februar 2011 kandidieren.

Der Wilhelmsburger CDU-Bürgerschaftsabgeordnete Jörn Frommann ist "weiterhin für eine Verlegung der Reichsstraße, weil dann 15 000 Wilhelmsburger nicht mehr im Lärmkorridor leben werden". Die fristgerechte Verlegung stehe indes "in den Sternen". "Ich bin mir nicht sicher, ob ich bei der Wahl wieder antreten werden", sagte Fromann auf Nachfrage.

Bezirksamtsleiter Markus Schreiber (SPD) sagte, die Reichsstraße solle "unabhängig von den Neuwahlen verlegt werden". Die neue Trasse schaffe "neue Möglichkeiten der Wohnbebauung" - Voraussetzung sei ein effektiver Lärmschutz, damit die Wilhelmsburger künftig "weniger von Bahn und Kfz hören". Die grüne Mitte-Abgeordnete Jutta Kodrzynski ist weiterhin "für eine Verlegung der Reichsstraße, weil dann eine Schneise weniger die Elbinsel durchquert". Der Lärmschutz dürfe sich aber für "niemanden verschlechtern, sondern muss sich für alle verbessern".

Manuel Humburg vom Verein Zukunft Elbinsel erscheint der ursprüngliche Zeitplan zur Reichsstraßenverlegung "mittlerweile als völlig absurd. Wenn die Stadt es nicht schafft, innerhalb eines Jahres die Straßenschäden des letzten Winters auszubessern, wie soll man dann eine vier Kilometer lange autobahnähnliche Straße mit Abzweigen bauen?" Wenn der Eingangsbereich der igs 2013 über eine "Autobahnbaustelle" verlaufen werde, wäre dies ein "Schildbürgerstreich". Humburg: "Die Reichsstraße muss mit Lkw-Nachtfahrverbot, Lärmschutz und Tempo 50 zivilisiert und domestiziert werden."