Margitta Schenk zeigt im Kunstverein Buchholz detailreiche Materialkunst

Buchholz. Man könne ruhig schon am Mittwoch kommen, doch wahrscheinlich werde sie da noch beim Aufbau sein. Mit der entsprechenden Einstellung betritt die Reporterin also die weiß ausgeleuchteten Hallen des Kunstvereins in Buchholz und muss erst mal gehörig staunen. Denn alles ist in schönster Ordnung, Objekte und Installationen hängen an ihrem Platz. Nur Christoph Selke, der Kunstvereinsvorstand, fegt in lässiger Trainingsjacke noch ein paar Reste vom Boden auf.

Ordnung und Unordnung, Zufall und Struktur, diese Spannung interessiert Margitta Schenk auch in ihrer Arbeit. Sie arbeite gerne mit dem Chaos, sagt sie, doch eben mit einer sehr konstruierten, berechneten Form des Chaos. Insofern ist es nicht erstaunlich, dass ihre Schau mit dem Titel "Von wegen" im Kunstverein Buchholz auch eine sehr komponierte ist, die den Raum kunstvoll inszeniert und in eine visuelle Gesamtstrategie versetzt. Und vielleicht muss das Vorgehen auch so ganzheitlich sein, denn die Arbeiten der in Seevetal lebenden Künstlerin sind oft Selbstklärungen, persönliche Formen des Aufräumens, die ihren künstlerischen Bodensatz im Leben haben.

Beim Betreten des Raumes nimmt einen sogleich eine gewaltige Boden-Installation gefangen: Auf den ersten Blick scheint alles eindeutig. An die 40 kleine Bienenwachsboote stehen dort streng aufgereiht auf dem Boden, dahinter an der Wand befinden sich zwei Bilder von kreiselnden Wasserstrudeln in changierenden Blau- und Grüntönen. Mittig dazwischen lehnen zwei pechschwarze Plastik-Paddel, wie man sie an jedem Urlaubsort kaufen kann.

Für das Auge scheinen Horizont und Bildsprache klar: Meer, Maritimes, Schifffahrt. Doch die Dinge liegen anders: Es handele sich um Röntgenbilder, die eine medizinisch schwierige Situation abbilden, verrät Margitta Schenk. Ein Blick ins Innere, eine Bestandsaufnahme also und auch ein ästhetisches Trompe loeil, das damals auch ein persönlicher Hoffnungsspender war.

"Ich schaffe gern Metaphern für Lebenssituationen", sagt Margitta Schenk über ihre Arbeit. Bei ihr sind es hermetische, kraftvolle Metaphernfelder, die ihren Sinn aus der Gesamtheit einer assoziativen Zwischenzone beziehen und oft auch in Einzelelemente, in eine Art Vokabular zerlegt sind: da wären die Angst und Bedrohung in den Röntgenbildern versinnbildlicht, die archaische Zuversicht der Wachsboote oder die vielleicht auch unheimliche Tatkraft des schwarzen Paddels.

Eine Arbeit, die fast eine Syntax, einen Satzbau zu haben scheint, doch dem Besucher wiederum nichts Konkretes vorbuchstabiert. Die singuläre Konstellation entschlüsselt sich vor dem Hintergrund des Persönlichen, das die Künstlerin aber auch transzendieren will.

Gern behält Schenk eine doppeldeutige Spannung bei. Material, das schwer aussieht, entpuppt sich plötzlich als federleicht. Es gibt Ziegelsteinattrappen, die sich als Matratzenstoff entpuppen. Andere Arbeiten wiederum beziehen erst aus der Konstellation der Materialien ihre Kraft: Aus dem Zwischen der einzelnen, teils sehr disparaten Elemente ergibt sich so etwas wie ein Spannungsfeld: An der Wand gegenüber hat die Künstlerin beispielsweise Materialarbeiten mit unterschiedlichem Zeitindex nebeneinander als komplexe Wandinstallation gehängt. Gemeinsam ist den Objekten der gewitzte Umgang mit dem Material, der eine sehr faktische, fast organisch anmutende Aura der Dinge schafft.

Einige der undefinierbaren Objekte erklärt Margitta Schenk sogleich: Ein undefinierbares Teil, ein wenig mit 70er-Jahre Charme, enttarnt die Künstlerin als Seidenstrumpf. Hier habe sie Nylonstrumpfhosen über einen gepolsterten Keilrahmen gezogen und mit Paraffinwachs übergossen. Verblüffend. In ästhetischer Nachbarschaft hängen reduzierte Fotografien, Gefäße und immer wieder Objekte, die um das Thema Haut und Hülle kreisen. Alle Objekte dialogisieren, weisen vor und zurück, auf ihr Vorleben und auf die anderen Dinge, ohne eine konkrete Aussage zu formen.

Abgesehen davon, dass diese Konstellation des Verschiedenen eine ästhetische Gesamtwirkung hervorruft, evoziert Schenk damit eine fast archaische Magie: Die Inszenierung lässt an Kult- oder Fetischobjekte denken, denen eine ritualartige Kraft und ein Zauber innewohnen. In den nüchternweißen Räumen des Kunstvereins ist das natürlich nicht ohne Witz.

Der Ausgangspunkt ihrer Kunst ist das Leben, ihr Leben, das Gedankengut, das einem das Leben eben so anspült. Diese Situationen verarbeitet Schenk in ihren Objekten und Installationen zu etwas Allgemeinem, an dessen Untergrund jedoch das Persönliche als Kraft und Magie spürbar bleibt. Immer wieder ergibt sich so ein eruptiver Witz und ein freudiges Staunen, wenn Schenk ihre ästhetischen Geheimnisträger dem Betrachter enthüllt. Aus ihren Latexabformungen blicken scheinbar geheimnisvolle, fremde und doch vertraut wirkende Objekte.

"Das war ein halber Fußball" sagt Schenk dann und man merkt, dass man auf der falschen Fährte war. Margitta Schenk, die studierte Grafikdesignerin, die sich ein Atelier mit drei Künstlern am Bullerdeich in Hammerbrook teilt und im Landkreis Harburg durch anspruchsvolle Kunstkurse bekannt ist, hat auf jeden Fall eins: Ihr Gespür für Materialfragen bewiesen und eine echte Dingpoesie in Szene gesetzt.

Kunstverein Buchholz, Kirchenstraße 6, bis 19. Dezember, Di-Fr. 16-18 und Wochenende 11-17 Uhr.