Eine Serie über den Besuch und die Hilfe der Lüneburger Stiftung in der ukrainischen Stadt Bila Zerkwa

Bila Zerkwa. Heute feiert Lew seinen 13. Geburtstag. Seine Geschenke, Gummiteddys und Erdbeereis, will er mit den anderen Kindern von Slagoda teilen. "Das wird ein Festessen", strahlt der Junge. Dann erzählen er und seine ein Jahr ältere Schwester Albina von ihrer Verzweiflung und von ihrem brutalen Vater, der sie beide aus ihrem Zuhause verjagt hat. Die beiden Kinder sitzen im Büro des Auffanglagers für Straßenkinder in Bila Zerkwa, eine von vielen Stationen auf der Rundreise von Peter und André Novotny durch die 220 000-Einwohner-Stadt in der Ukraine. Die Novotnys gehören zum Vorstand der Lüneburger Stiftung Hof Schlüter. Ein Teil der Stiftungsarbeit ist die humanitären Hilfe für Waisenheime, Krankenhäuser und andere Einrichtungen in der Stadt, die rund 80 Kilometer südlich von Kiew liegt. Jedes Jahr kommen die Novotnys nach Bila Zerkwa, um sich davon zu überzeugen, wie die in Deutschland gesammelten Spenden eingesetzt werden, und wo Hilfe gebraucht wird.

Die Kinder sind vor dem prügelnden Vater fortgelaufen

"Unsere Mutter ist gestorben, als wir noch klein waren. Wir lebten mit den Großeltern und dem Vater in einem Dorf, weit weg von Bila Zerkwa. Er hat mich oft geschlagen. Immer wenn er betrunken war, hat er zugeschlagen. Einmal hat er mir sogar die Nase gebrochen", erzählt Albina. Ihr jüngerer Bruder sitzt, während sie das sagt, ruhig neben ihr und sieht auf seine Hände. "Ja", sagt er, "er ist immer sehr böse geworden. Dabei haben wir immer geholfen".

Wütend sei er nicht auf seinen Vater. Der Vater habe schlechte Freunde gehabt, die immer mit ihm getrunken hätten. Lew: "Unser Vater ist krank. Wie kann man wütend auf jemanden sein, der krank ist?" Er und seine Schwester hätten im Sommer Arbeit bei der Post bekommen, sein Geld habe er der Oma, in der Ukraine nennen die Kinder ihre Großmutter Babuschka, gegeben, erzählt Lew. Auch den Großvater habe der Vater geschlagen, die Großmutter habe nichts dagegen tun können.

Als es einmal furchtbar schlimm gewesen sei, so Albina, habe sie die Miliz gerufen. Die habe den Vater mitgenommen, ihn zwei Tage lang im Gefängnis behalten. Danach hätten sie ihn wieder laufen lassen mit der Maßgabe, die Kinder nicht mehr zu schlagen. Albina: "Als er danach wieder zu uns kam, hat er uns gesagt, auch wenn er mich nicht mehr schlagen darf, wird er alles tun, damit wir verschwinden."

Und eines Nachts, wieder war ihr Vater betrunken, seien sie weggelaufen. Sie seien zusammen mit ihrer "Babuschka" zehn Kilometer zu Fuß bis zur nächst größeren Stadt gegangen. Dort seien sie bei einer Tante untergekommen. Die steckte den Kindern und der Großmutter Geld für den Bus nach Bila Zerkwa zu. "Babuschka hat uns hier nach Slagoda gebracht, und wir sind sehr froh, dass wir hier sein dürfen. Und dass wir in getrennten Zimmern schlafen müssen, wie die anderen Kinder auch, macht uns nichts aus, unsere Betten stehen Wand an Wand. Ich weiß, dass mein Bruder direkt im Zimmer neben mir schläft", sagt Albina. Und Lew lächelt. "Seit wir von zu Hause weggegangen sind, streiten wir uns überhaupt nicht mehr", sagt er. Die beiden halten zusammen. Auf die Frage, was er sich denn für seine Zukunft wünscht, sagt der Junge: "Ich wünsche mir, dass Babuschka noch lange lebt."

Heute sind Peter und André Novotny von der Stiftung Hof Schlüter aus Lüneburg zu Besuch. Seit vielen Jahren unterstützen sie das Auffanglager für Straßen- und Waisenkinder, in dem Lew und Albina jetzt Zuflucht gefunden haben.

Zu ihren regelmäßigen Besuchen in Bila Zerkwa gehört immer eine Visite in Slagoda. Leiterin Natalie Petrowna Jaschan ist, wenn sie den rund 30 zumeist schwer traumatisierten Kindern in Slagoda mehr bieten möchte, als eine warme Mahlzeit am Tag, dringend auf die Hilfe der Lüneburger Stiftung angewiesen. Die Stadt hat kein Geld. Stolz zeigt sie den Novotnys die beiden fast fertig renovierten Schlafsäle für die Kinder, die sich jetzt noch zwei große Schlafräume, Bett an Bett, teilen müssen.

Das Geld für die Renovierung kommt von der Stiftung. Ein reicher Ukrainer hat einige neue Fenster gestiftet. Bisher mussten die alten kaputten Fenster in der bitterkalten Winterzeit mit Plastikscheiben abgeklebt werden. Er freue sich darüber, dass inzwischen auch reiche Ukrainer ihren Landleuten helfen. Das zu erreichen, sei ein wichtiges Ziel der Stiftung, so Peter Novotny. André Novotny: "Dieses Heim liegt uns ganz besonders am Herzen. Wenn ich sehe, wie sich diese Kinder über eine Tüte Gummibärchen freuen, dann fällt es mir wirklich schwer, die Fassung zu bewahren." Einen großen Teil ihres Engagements verwenden die Novotnys darauf, in Deutschland für Spenden zu werben. Peter Novotny: "Die Kinder brauchen dringend warme Kleidung für den Winter, sie brauchen Spielzeug. Ihnen fehlt alles, was für unsere Kinder in Deutschland ganz normal ist."

Eine Lkw-Ladung aus Dollern bringt Spielzeug und Kleider

Gerade hat die Gemeinde Dollern im Landkreis Stade, nachdem die Novotnys dort für ihre Arbeit in der Ukraine geworben hatten, eine große Spendenaktion für Slagoda durchgeführt. Zusammen gekommen ist dabei eine ganze Lkw-Ladung gebrauchte und neue Kinderkleidung, Spielzeug, Fahrräder, Kinderbetten, Schokolade, Plüschtiere, Buntstifte und vieles mehr. Sogar ein Tisch-Fußballspiel wurde gespendet. Innerhalb der nächsten zwei Monate wird der Lkw nach Bila Zerkwa starten. Für die Kinder von Slagoda wird damit dieses Weihnachtsfest zum Ereignis.

26 Ghrifna (2,60 Euro) bekommt Natalie Jaschan für jedes Kind pro Tag. "Von der Stadt bekommt jedes unserer Kinder zu Weihnachten 150 Gramm Gebäck. Mehr können wir ihnen nicht bieten." Die engagierte Frau bittet die Novotnys um Möbel. Wenn der erste Stock fertig renoviert sei, bräuchten die Kinder Schränke, Tische und Stühle. Und zu Weihnachten würden sich die Kinder sehr über Obstkonserven freuen. Der Hit auf dem Speiseplan der Kinder seien Nudeln mit Ketchup, alles viel zu teuer, um es aus dem Budget bezahlen zu können, sagt Natalie Jaschan.