Eine Serie über den Besuch und die Hilfe der Stiftung Hof Schlüter in der ukrainischen Stadt Bila Zerkwa

Lüneburg/Bila Zerkwa. Der Himmel ist grau über Kiew. Kolja Daskewitsch aus Bila Zerkwa erwartet Peter und André Novotny aus Scharnebeck. Vor dem Kiewer Flughafen Borispol, ein schmuckloser Bau aus Sowjetzeiten, sind die Parkplätze knapp. Vater und Sohn Novotny gehören zum Vorstand der Stiftung Hof Schlüter. Die Lüneburger Stiftung leistet seit etwa acht Jahren humanitäre Hilfe in der 220 000-Einwohner-Stadt Bila Zerkwa in der Ukraine, einem Land, in dem die meisten Menschen seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 in bitterer Armut leben. Die Finanzkrise hat viele Ukrainer arbeitslos gemacht, die Löhne sanken, und die Lebenshaltungskosten sind in den letzten zwei Jahren um fast das Doppelte gestiegen.

Die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich immer weiter. Fünf bis zehn Prozent der Ukrainer sind reich, der Rest der Bevölkerung lebt zum großen Teil in bitterer Armut. Ein soziales Netz gibt es nicht. Peter Novotny: "Ich kann nur guten Gewissens in Deutschland für Spenden werben, wenn ich den Menschen sagen kann, dass ihre Sachen auch wirklich dort ankommen, wo die Leute sie dringend brauchen. Und das können wir garantieren, wenn wir uns in Bila Zerkwa davon überzeugen."

Daskewitsch, er arbeitet für die Stiftung in Bila Zerkwa, fährt den Besuch aus Deutschland durch die Straßen der Drei-Millionen-Metropole Kiew. Am Stadtrand wird gerade das Mega-Fußballstadion für die EM 2012 aus dem Boden gestampft. Zwischen den Prachtbauten der ukrainischen Hauptstadt am Fluss Dnipro schieben sich die teuren Autolawinen der Reichen. In den Einkaufsstraßen reihen sich Edelboutiquen an Designer-Läden. Auf dem prächtigen Majdan, dem Platz, auf dem vor sechs Jahren die Menschen mit ihrer Orangenen Revolution für mehr Demokratie gekämpft haben, essen Geschäftsleute ihre Hamburger im Laufschritt. Mit Präsident Viktor Janukowitsch sitzen wieder die alten Seilschaften im ukrainischen Parlament. Heute demonstrieren die Menschen in Kiew gegen die maßlosen Steuererhöhungen für kleine und mittlere Unternehmen, gegen die allgegenwärtige Korruption und die Preiserhöhungen im Land.

Bila Zerkwa liegt 80 Kilometer südlich von Kiew. An der Schnellstraße kurz vor Bila Zerkwa sitzen Menschen am Straßenrand. Vor ihnen aufgebaut stehen Zuckersäcke. Sie arbeiten in der Zuckerfabrik von Bila Zerkwa. Einen Teil ihres Lohns hat man ihnen in Form von Zucker ausbezahlt. Den versuchen sie nun, zu Geld zu machen. Es ist ein täglicher Kampf ums Überleben. In der Stadt reihen sich trostlose, herunter gekommene Plattenbau-Siedlungen aus Sowjetzeiten aneinander. Auf den löchrigen Straßen knattern klapprige Ladas. Der längst nicht mehr produzierte Moskwitsch beherrscht das Straßenbild. Vor dem Rathaus von Bila Zerkwa steht noch eine Lenin-Statue. Im Gegensatz zu den Stalin-Statuen hat Lenin die ersten Wirren der Unabhängigkeit der Ukraine 1991 überlebt. Es sind acht Grad über Null, aber auf der Straße gehen Menschen in Plastik-Badelatschen. Schuhe können sie sich nicht leisten. Das Durchschnittseinkommen beträgt hier 700 bis 1000 Ghrifna (rund 70 bis 100 Euro). Schuhe sind genauso teuer wie in Deutschland. Hier wird der Kontrast in der Ukraine zwischen Arm und Reich deutlich sichtbar. In Bila Zerkwa werden Peter und André Novotny vier Tage bleiben. Sie werden Krankenhäuser besuchen, mit Menschen sprechen und sich deren Sorgen anhören.

Hier, wo die Not vieler Menschen so groß ist, dass sogar die Grundnahrungsmittel unerschwinglich geworden sind, leistet die Stiftung humanitäre Hilfe. Sie unterstützt unter anderem Krankenhäuser, deren medizinische Ausrüstung zumeist aus der Zeit gleich nach dem Zweiten Weltkrieg stammt. Damals wurden die Kliniken zum letzten Mal vom Staat neu ausgerüstet. Die Stiftung unterstützt Kinderheime und unterhält eine Kleiderkammer in Bila Zerkwa. Jedes Jahr laden die Novotnys Kinder aus armen Familien für sechs Wochen nach Deutschland in die Ferien ein. Mehrmals im Jahr verlässt ein Lkw mit Hilfsgütern das Lager der Stiftung in Lüneburg und bringt die Hilfsgüter nach Bila Zerkwa. Jedes Jahr besuchen die Novotnys die ukrainische Stadt, um sich davon zu überzeugen, dass die Hilfsgüter auch da angekommen sind, wo sie so dringend gebraucht werden.

Während der Fahrt von Kiew nach Bila Zerkwa erzählt Kolja Daskewitsch: "Vor der Krise kostete ein Kilo Kartoffeln noch fünf Ghrifna, jetzt sind es zehn. Das ist für unsere Leute sehr, sehr teuer. Meine Mutter zum Beispiel bekommt 700 Ghrifna Rente im Monat. Das sind etwa 70 Euro. Weil sie im Krieg als Zwangsarbeiterin vier Jahre lang in Deutschland war, braucht sie nur die Hälfte der Miete zu zahlen. Aber das sind immer noch 350 Ghrifna. Da wird ein Kilo Kartoffeln, außer Brot und Buchweizen das Hauptnahrungsmittel der Ukrainer, zum Luxus.

In Bila Zerkwa wurden in den letzten vier Jahren 89 Sozialwohnungen gebaut. Dagegen stehen 1800 Menschen, die auf der Warteliste für eine Sozialwohnung stehen." Sehr viele Menschen in Bila Zerkwa haben nach dem Banken-Crash ihre Arbeit verloren. In den ärmlichen Seitenstraßen, wo die Menschen in kleinen Steinhütten ohne fließendes Wasser leben, wird in den Garten Gemüse angebaut. Für Blumen ist hier kein Platz.

Wie Kolja Daskewitsch engagiert sich auch die Deutschlehrerin Natalie Gedz in Bila Zerkwa für die Stiftung. Sie war dabei, als die "Orangenen" auf dem Majdan für freie Wahlen, für Viktor Juschtschenko demonstriert haben. Die Stimmung sei schlecht im Land, sagt sie. "Das ukrainische Volk ist müde, müde von der Korruption, müde von der Armut.1991 haben die meisten Ukrainer für die Selbstständigkeit gestimmt, ohne zu wissen, was das heißt. Wir Ukrainer hatten 1991 eine echte Chance auf Demokratie, ohne kämpfen zu müssen. Aber wir haben sie vertan. Nach 2004 versank unser Land im Chaos, und genau das verbinden heute die Menschen mit dem Begriff Demokratie. Sie haben nicht verstanden, dass Freiheit auch bedeutet, Verantwortung zu übernehmen. Und jetzt sind wieder die alten roten Direktoren an der Macht. Und wir steuern wieder auf die Zeiten zu, in denen der Mensch nichts, der Staatsapparat alles war. Die Ukraine ist kein Rechtsstaat mehr. Juschtschenko war unsere große Hoffnung, aber die Orangene Revolution war eine bürgerliche Revolution, eine Revolution der Intellektuellen, keine Revolution des Volkes." Busunternehmer Slawa bringt die Kinder in den Ferien nach Deutschland, die von der Stiftung eingeladen werden. Er erzählt, wie die Korruption funktioniert: "Als die Geschäfte nicht mehr so gut liefen, bin ich zur Behörde gegangen, um die Erlaubnis zu bekommen, eine Buslinie zwischen Kiew und Jampol fahren zu können. Offiziell habe ich für diese Erlaubnis 160 Euro bei der Behörde bezahlt. Inoffiziell musste ich 8000 Dollar zahlen." Er wolle aber nicht nur schlecht über sein Land sprechen, sagt Busunternehmer Slawa. Er liebe sein Land, sein Volk. Es sei ein gutes Volk.

Montag lesen Sie: Wie die Stiftung Hof Schlüter krebskranken Kindern in Bila Zerkwa hilft.