Ausstellung zeigt Briefe von jüdischen Eltern an ihre emigrierten Kinder

Harburg. November 1938: Der Geschäftsmann Walter Horwitz kann nicht mehr weiter. Schon zweimal hat der Harburger jüdischen Glaubens versucht, sich das Leben zu nehmen, hat in seiner Wohnung den Gashahn aufgedreht. Jetzt steht er auf der Lombardsbrücke und starrt auf das trübe Wasser. Dann setzt er seinen Fuß auf das Brückengeländer. Zuvor hat er seinen Kindern Max und Cilly, die nach London emigrieren konnten, noch einen Brief geschickt, in dem er schreibt, dass das Leben, geprägt von den Anfeindungen seiner Mitmenschen und den Verfolgungen der Gestapo sowie von der großen existenziellen Not, für ihn keinen Sinn mehr macht.

Es ist einer von vielen erschütternden Briefen, von denen Klaus Möller von der Harburger Initiative Gedenken in der Ausstellung "Aus Kindern wurden Briefe - die Rettung jüdischer Kinder aus Nazi-Deutschland", die von Montag, 2. November, bis zum 2. Dezember, in der Harburger Bücherhalle, Eddelbüttelstraße 47 a, ausgerichtet wird, berichtet. Auf großen Schautafeln werden dort nicht nur die ergreifenden Schicksale der Harburger Cilly und Max Horwitz, Gerd Pommerantz und John Maidanek, die von ihren Eltern zum Schutz vor den Verfolgungen der Nazis ins Ausland geschickt und in Pflegefamilien gegeben wurden, gezeigt.

Auf Schautafel werden Harburger Schicksale dargestellt

Möller hatte sich dafür eingesetzt, dass Besucher auch über die Lebenswege weiterer deutscher Kinder im Exil erfahren. Dafür hat er eine Berliner Ausstellung nach Harburg geholt. Hier werden die Schwierigkeiten bei der Auswanderung, die Hilfsorganisationen sowie der Alltag der jungen Flüchtlinge in der neuen Umgebung dargestellt. Lesungen, eine Filmvorführung und ein Rundgang zu Harburger Stolpersteinen ergänzen die Ausstellung.

Mehr als 12 000 jüdische Kinder und Jugendliche verließen in den Jahren von 1933 an bis 1941 ohne ihre Eltern und meist mit Hilfe deutsch-jüdischer Organisationen ihre Heimat. "Kinder wie Cilly und Max Horwitz erfuhren nur in wenigen Briefen und Postkarten, wie es ihren Müttern und Vätern in der Heimat ergeht. Kam meist Anfang der 1940er Jahre keine Post mehr, war das ein schlechtes Zeichen. Die Kinder hatten aber keine Möglichkeit herauszufinden, was mit Mutti und Vati passiert war", so Möller.

Im Gespräch mit Angehörigen, Nachbarn und teilweise mit den Betroffenen selbst hat Möller herausgefunden, wie es Gerd, John, Max und Cilly ergangen ist. Besonders über die Geschwister Horwitz kann er viel erzählen. Cilly Horwitz, die inzwischen in der englischen Grafschaft Surrey lebt, hat Harburg oft besucht und unter anderem Schüler des Heisenberg-Gymnasiums aus ihrem Leben erzählt.

Die Harburger Rundschau hat darüber berichtet.

So wurden Bruder und Schwester in Pflegefamilien in London untergebracht. Max ging zur Schule, absolvierte eine Ausbildung und wurde Soldat. Cilly hatte es zunächst gut bei ihren Londoner Pflegeeltern. So schreibt ihre Pflegemutter, dass Cilly ein good girl, ein nettes Mädchen ist und einen guten Appetit hat. Im Briefumschlag lag ein Foto, dass Cilly fröhlich lachend zeigt.

Doch das Glück währt nicht lange. Cilly muss aufgrund von Unstimmigkeiten in ein Kinderheim. Der Vater erfährt davon und ist untröstlich, dass er seiner Tochter nicht helfen kann. Er hat zu wenig Geld, um sich die Flucht aus Deutschland zu ermöglichen. Seine Ehe mit seiner nichtjüdischen Frau Margarethe ist in die Brüche gegangen. "Sie hielt dem Druck, den die Nazis Ehepartnern, die nicht jüdischen Glaubens aussetzte sowie den erniedrigenden Lebensumständen nicht stand."

Die letzte Postkarte von Walter Horwitz

Während Margarethe nach der Scheidung wieder eine Arbeit als Verkäuferin fand, war der einst sehr aktive Walter, der das Harburger Kaufhaus Horwitz An der Lüneburger Straße/Ecke Bremer Straße, leitete, zur Untätigkeit gezwungen. Lebensmüde springt von der Lombardsbrücke in die Alster, wird gerettet. Er heiratete erneut.

Dann, im November 1941 erhält Walter Horwitz ein amtliches Schreiben. Seine Frau Else und er selbst sollen nach Minsk in ein Lager deportiert werden. Am 8. November 1941 schreibt er seine letzte Postkarte an seine Ex-Frau. "Liebe Gretel, in drei Stunden bringen sie das Gepäck fort. Wir wollen stark und tapfer sein." Danach hören die Geschwister nie wieder etwas von ihrem Vater.

Veranstaltungen

Montag, 1. November, 19.30 Uhr, Bücherhalle: Prof. Stefanie Schüler-Springorum vom Institut für Geschichte der deutschen Juden.

Montag, 8. November, 19 Uhr, Harburger Rathaus: "Mit dem Kindertransport ins schwedische Exil - Zeitzeugengespräch mit Peggy Parnass".

Mittwoch, 10. November , 18 Uhr: Gedenkveranstaltung zur Reichspogromnacht 9./10. November 1938. Besucher treffen sich auf dem Jüdischen Friedhof auf dem Schwarzenberg. Ab 19 Uhr wird ein Kranz am Mahnmal der ehemaligen Synagoge an der Eißendorfer Straße, Ecke Knoopstraße niedergelegt.

Dienstag, 16. November , 20 Uhr, Bücherhalle: "Aus dem Leben von Eberhard Zamory - Erinnerungen eines Hamburgers an seine Rettung durch den Kindertransport".

Sonnabend, 20. November , 11 Uhr, Bücherhalle: "Stolpersteine für jüdische Kinder in Harburg". Ein Rundgang mit Klaus Möller.

Donnerstag, 25. November , 19 Uhr, Johanniszentrum, Bremer Straße 9: "Kindertransport in eine fremde Welt", Filmvorführung.

Montag, 29. November , 19.30 Uhr, Bücherhalle: "Meine liebe, süße Cilly..." Lesung aus Briefen an die Harburger Kinder Max und Cilly Horwitz im englischen Exil.