Das Helms-Museum sichert Fundstücke in Gipsblöcken. Ein Harburger Unternehmen macht sie auf dem Bildschirm sichtbar

Harburg. Archäologie und Schweißtechnik scheinen auf dem ersten Blick so gar nichts gemeinsam zu haben. Aber: In Harburg arbeiten das Helms-Museum und die Schweißtechnische Lehr- und Versuchsanstalt (SLV) Nord im Elbcampus seit Neuestem zusammen. Die Techniker machen mit Röntgenstrahlen in Gipsblöcken gerettete archäologische Fundstücke sichtbar, die ansonsten zerstört worden wären.

Mehr als 350 Gräber hat der Archäologe Jochen Brandt seit 2006 bei verschiedenen Ausgrabungen auf dem 1200 Jahre alten Friedhof der Altsachsen bei Elstorf im Landkreis Harburg entdeckt. Viele enthalten Grabbeilagen wie Ketten, Schmuck aus Bronze und Messer aus Eisen. Das Grabungsteam steckt dabei stets in dem gleichen Dilemma: Das Metall ist wegen der langen Lagerung im Boden und schädlichen Umwelteinflüssen, etwa in der Landwirtschaft eingesetzte Pflanzenschutzmittel, so stark angegriffen, dass die wertvollen Funde zu zerbröseln drohen.

Nicht immer wissen die Forscher, was sie in der Schützhülle einlagern

Um das zu verhindern, schließen die Archäologen die Metallfunde zusammen mit der sie umgebenden Erde sofort an der Ausgrabungsstelle in einen Gipsblock ein. Sobald sie nur einen Zentimeter Metall freilegen, gipsen sie einen ganzen Erdquader ein. Nicht immer wissen die Forscher also, was genau sie eigentlich in der harten Schützhülle einlagern. "Seine Neugier muss man da im Zaum halten", sagt Jochen Brandt.

Bevor der archäologische Restaurator im Helms-Museum die Funde wieder vorsichtig Schicht um Schicht mit dem Diamantschleifer aus der Gipshülle befreit, kann Jochen Brandt mit Hilfe der Experten von der SLV Nord anhand von Röntgenbildern schon vorab Aussagen über den Zustand und Details zur Herstellung der entdeckten Grabbeigaben treffen. Dabei hilft ihm eine moderne digitale Röntgenanlage. Die SLV Nord nutzt das mannshohe, mehr als eine Viertelmillion Euro teure Gerät normalerweise bei der Werkstoffprüfung. Zum Beispiel, wenn die Techniker den Zustand eines Brückenpfeilers aus den 1920er-Jahren überprüfen.

Wie kamen Werkstoffprüfer und Archäologen eigentlich zusammen? Der Direktor des Helms-Museums, Dr. Rainer-Maria Weiss, sitzt im Beirat der SLV Nord und initiierte die Zusammenarbeit. "Ein Riesenfortschritt für uns", sagt Jochen Brandt. Denn früher hätten die Archäologen durch halb Deutschland fahren müssen, um ein Röntgengerät nutzen zu können. Die Möglichkeit zum Durchleuchten bietet etwa das Archäologische Landesmuseum in Schleswig. Die Wartezeiten seien aber lang, sagt Jochen Brandt. Hinzu kommt: Die Untersuchung dort sei längst nicht mehr auf dem neuesten technischen Stand.

Manchmal behalfen sich die Wissenschaftler mit Röntgenapparaten in Kliniken oder Arztpraxen. Für die Archäologie sind sie aber nur bedingt geeignet. Die digitale Röntgenanlage "X-Cube" der SLV Nord kann Objekte dreidimensional durchleuchten. Die Archäologen können die eingegipsten Fundstücke so drehen, bis sie besonders gut zu sehen sind.

Ein faszinierender Effekt der digitalen Radioskopie an der SLV Nord: Sie macht Unsichtbares sichtbar. Die Archäologen waren angenehm überrascht, als sie auf dem Bildschirm die Abdrücke von organischem Material zu sehen bekamen, das im Erdboden gar nicht mehr vorhanden war. Zum Beispiel verrottete Lederschnüre oder eine Messertasche. "Die Abdrücke bleiben scheinbar als bloßer Dichteunterschied im Boden erhalten", sagt Jochen Brandt. Der Archäologe erfährt so Details, die er bei der Ausgrabung gar nicht mehr hätte sehen können.

Wissenschaftler ziehen Rückschlüsse auf die Ernährung vor 1200 Jahren

Auch in Elstorf entdeckte Gebisse unserer Urahnen lagern die Archäologen in Gips ein. Mit Hilfe moderner technischer Untersuchungsmethoden können die Wissenschaftler Rückschlüsse auf die Ernährung vor 1200 Jahren ziehen. Im Zahnschmelz bleiben selbst Informationen darüber gespeichert, was ein Erwachsener im Jahr 800 als Kind gegessen hat. "Wir legen die Zähne wie die anderen Gipsblöcke so lange in den Kühlschrank", sagt Jochen Brandt, "bis wir einen geeigneten Anthropologen als Partner gefunden haben."

Sven Noack, Leiter der SLV Nord, sieht den neuen archäologischen Nebenzweig zurzeit mit "olympischem Geist", wie er sagt. Nach dem Motto: "Wir freuen uns, dabei zu sein." Sollte andere Museen aber nachfragen, könnte ein unerwartetes Geschäftsfeld entstehen. Sven Noack: "Wir hätten noch Kapazitäten frei."