Immer mehr Kirchengemeinden helfen sich selbst. In Zeiten zunehmender Austritte gründen sie Fördervereine und Kirchenstiftungen.

Winsen/Hittfeld. Ein kleiner Junge steht mit seiner Sackkarre an der Bushaltestelle. "Darf ich Ihre Einkäufe nach Hause bringen?" fragt er die alte Frau und zeigt auf seine Karre. Das Geld, das er für diese Dienstleistung bekommt, wird er der St. Johanniskirchengemeinde in Buchholz spenden. "Es ist unglaublich, was sich die Gemeindeglieder für tolle Aktionen ausgedacht haben", freut sich Pastor Jürgen Stahlhut. Er hatte zusammen mit dem Kirchenvorstand die Fundraising-Maßnahme "Du hast Talent - nutze es" ins Leben gerufen und auf dem Gemeindefest Ende August 200 Briefumschläge mit jeweils fünf Euro verteilt. Dieses Geld sollte durch eine kreative Idee vermehrt werden und in die Gemeindearbeit fließen. Mit Erfolg: bisher konnten so 3 256 Euro gesammelt werden.

In Zeiten sinkender Kirchensteuer-Einnahmen sind Spenden unabdingbar

Seien es kurzfristig Fundraising-Aktionen, oder die längerfristige Arbeit von Stiftungen und Fördervereinen: In Zeiten steigender Kirchenaustritts-Zahlen und damit sinkender Kirchensteuereinnahmen gewinnen solche finanziellen Förderungen als Einnahmequelle mehr und mehr an Bedeutung.

Allein im Kirchenkreis Winsen gibt es mittlerweile neun Stiftungen, die es sich zum Ziel gesetzt haben, in den kommenden zehn bis 15 Jahren rund 5,3 Millionen Euro zu erwirtschaften - zum Erhalt von Pfarr- und Diakon-Stellen, zur Unterhaltung von Gemeindehäusern und Kirchen.

"Die erste Kirchenstiftung in unserem Kirchenkreis hat sich 2002 in Hanstedt gegründet", so Wilfried Staake, verantwortlich für die Öffentlichkeitsarbeit und das Fundraising im Kirchenkreis Winsen. 4 600 Mitglieder zählt die Kirchengemeinde, ihre St. Jakobi-Stiftung verfügt heute über ein Kapital von etwa 270 000 Euro.

"Der Kirchenkreis wollte dem nicht nachstehen und hat daraufhin ebenfalls eine Stiftung gegründet", erinnert sich Wilfried Staake. "Kirche mit Zukunft" ihr Name, ihr Start-Kapital: 100 000 Euro, dazu kam eine Bonifizierung der Landeskirche. Heute beträgt ihr Stiftungskapital 360 000 Euro. "Wir wollten nicht länger zusehen, wie Stellen dem Sparzwang zum Opfer fallen, wir haben nach alternativen Finanzierungsmodellen gesucht", so der Kirchenkreis-Sprecher. So konnte die Stelle des Kirchenkreisjugendwarts erhalten bleiben.

Stiftungen sind in der Regel auf Jahrzehnte hin gegründet. Dabei wird das Vermögen auf Dauer erhalten, nur die Erträge werden für den guten Zweck verwendet.

"Wei makt dat schon" - unter diesem Motto sind am 31. Oktober 2004 die Gründungsmitglieder der Martin-Luther-Stiftung in Fliegenberg angetreten. Wohl das bestes Beispiel dafür, wie erfolgreich auch kleine Gemeinden "stiften" können. Gerade einmal 800 Mitglieder zählt die Kirchengemeinde, die Martin-Luther-Stiftung 450 000 Euro in ihrem Stiftungsstock. "Das Besondere: Mit 425 Stiftern ist mehr als jeder zweite Haushalt beteiligt, das ist ziemlich einzigartig", freut sich Wilfried Staake. Ihr Ziel: der Erhalt einer halben Pfarrstelle. Und tatsächlich: Zum 1. April konnte die Pfarrstelle mit Pastor Jürgen Pommerien wieder besetzt werden. In Zukunft wird die Martin-Luther-Stiftung einen Teil der Pfarrstelle mitfinanzieren.

Dass eine Kirchenstiftung immer die beste Lösung ist, ist nicht gesagt

Dafür lassen sich die Stiftungsmitglieder einiges einfallen: Sommerfest an der Elbe, Flohmärkte, verfassen von Spendenbriefen.

Doch dass eine Kirchenstiftung und damit eine langfristig angelegte Lösung immer die beste ist, ist nicht gesagt - so Wilfried Staake. So ist immer ein großes Kapital erforderlich, das auch noch ständig erweitert werden muss. Nur so könne sie bei einer verändernder Wirtschaftslage und niedrigen Zinsen den erforderlichen Ertrag bringen. Ein Weg, Stellenanteile zu sichern, wäre auch über Fördervereine möglich. Diese bräuchten weit weniger Geld aufzubringen, dafür müssten sie es aber auf Dauer.

Beispiel Kirchenkreis Hittfeld: 2004 gründeten zehn Mitglieder des Orgelförderkreises der St. Paulus Gemeinde in Buchholz den Freundeskreis "Musik in der Kirche". Heute setzten sich 120 Mitglieder Jahr für Jahr das Ziel, die Musik in der Gemeinde zu unterstützen - finanziell und durch tatkräftige Mithilfe bei der Organisation und der Durchführung von Kirchenkonzerten. So beteiligten sie sich mit 10 000 Euro an der Anschaffung eines Chorpodestes. Im kommenden Jahr soll ein Flügel für das neue Gemeindehaus gekauft werden. Dafür will der Freundeskreis 15 000 Euro bereitstellen. Das Geld stamme aus Mitgliedsbeiträgen sowie Spenden.

Das Ziel des 2008 gegründeten Fördervereins "Kirche in Bendestorf": Die Eigenständigkeit der Kirchengemeinde erhalten. 2012 soll die halbe Pfarrstelle auf eine viertel Stelle gekürzt werden. Da Bendestorf dann keinen eigenen Pastor mehr haben würde, will der Förderverein ab 2013 eine Viertel Pastorenstelle tragen. Kosten: 12 000 Euro jährlich. 30 Euro Mitgliedsbeitrag zahlt jedes der 50 Mitglieder pro Jahr. Wer kann, gibt mehr. Der Rest wird durch Spendenaktionen gesammelt.

Wilfried Staake: "In diesen Jahren werden in Deutschland riesige Summen vererbt. Manche Verstorbenen haben keine Kinder und freuen sich, wenn mit ihrem Erbe etwas Sinnvolles passiert." Eine große Chance für Fördervereine und Stiftungen. Die Kinderstiftung St. Paulus ist aus dem Vermächtnis der Buchholzerin Minna Katharina Wienecke entstanden. Sie hatte der Kirchengemeinde St. Paulus 1999 einen Betrag von mehr als 100 000 Euro hinterlassen - zweckgebunden "für bedürftige Kinder und Kindergärten" in Buchholz.

Neben dem finanziellen Aspekt haben die zahlreichen Spendenaktionen und der Aufklärungsarbeit der Gemeinde-, Vereins- und Stiftungsmitgliedern aber noch einen anderen positiven Effekt. "Die Gemeinde wächst zusammen, hat ein gemeinsames Ziel", so Pastor Jürgen Stahlhut. Die Aktionen wirken Identitäts stiftend. Kirche wird wieder erlebbar und das sei mindestens ebenso wichtig.