In der “Soulkitchen-Halle“ wurde der Stummfilm “Spione“ vom Verein “Kunst Bau Stadtentwicklung“ live vertont

Wilhelmsburg. Ein schriller Ton erfüllt die alte Halle. Darunter legt sich ein Klangteppich - eine dumpfe, melancholische und irgendwie auch unheimliche Melodie. Das Licht ist gedämpft. Etwa 20 Zuschauer und -hörer haben auf weichen Sofas Platz genommen. Gebannt folgen sie der Handlung auf der großen Leinwand: dem Kampf zwischen Gut und Böse live vertont mit sphärischen Klängen.

Am Freitagabend zeigte der Verein "Kunst Bau Stadtentwicklung" in der Soulkitchen-Halle den Agenten-Stummfilm "Spione" von 1928. Ein Klassiker von Fritz Lang nach dem Drehbuch von Thea von Harbou.

Die Handlung: Der skrupellose Bankier Haghi versucht, durch dunkle Machenschaften und mit Hilfe der geheimnisvollen Schönheit Sonj Barranikowa dem osteuropäischen Obersten Jellusic militärische Geheimnisse seines Landes zu entlocken. Dafür geht Haghi über Leichen. Als der Geheimdienst den Meisterspion "Nr. 326" auf ihn ansetzt, soll ihn Sonja eliminieren. Doch stattdessen verliebt sie sich in den Geheimagenten.

Spannung pur - die an diesem Abend nicht nur durch die zeitlosen Bilder sondern vor allem durch Trautonia Capra, 45, und Tristan von Neumann, 36, erzeugt wurde. Die beiden Hamburger Künstler verstanden es, die Verfolgungsjagden, verbrecherischen Machenschaften und zaghaften Liebesszenen musikalisch auf den Punkt zu bringen - per Laptop, E-Piano und Theremin.

Kerzengerade stand Trautonia Capra auf der Bühne, ließ die Hände durch die Luft gleiten, entlockte so ihrem Instrument bezaubernde Töne, Klänge zwischen singender Säge, Geige und verwunschener Stimme. Berührungen mit dem kleinen schwarzen Kasten und den zwei Antennen gab es nicht. Zauberei? "Nein", sagt die Thereministin. "Eher profane Physik. Ein Sinus-Oszillator, die Klangerzeugung eines Synthesizers, wird über zwei Magnetfelder durch die Entfernung der Hände zum Instrument angesteuert." So entstehen schaurig schöne Klänge, ergänzt durch Tristan von Neumanns digitalem Klavierspiel.

Dabei sind die beiden Musiker ein eingespieltes Team. Jeden dritten Donnerstag im Monat treten sie in der Pony Bar, Grindelviertel, auf. Auch hier vertonen sie live Stummfilme. Tristan von Neumann ist schon lange Stummfilm-Fan. Dabei sei er zu solchen live Vertonungen eher durch Zufall gekommen. "2008 habe ich als Klassik-DJ in Berlin aufgelegt", erinnert sich der Hamburger. Zur Untermalung wollte er einen kurzen Stummfilm einfließen lassen, doch der Film war länger als gedacht und das Publikum am Ende begeistert. Was ihn an den schwarz-weiß Klassikern so begeistert? Ihre Modernität. "Alle heutigen Genres waren damals schon vertreten", so Tristan von Neumann, "Spione ist original James Bond."

Für Traude Capra, die sich den Künstlernamen Trautonia gegeben hat, macht das freie Improvisieren einen besonderen Reiz ihrer Kunst aus. Die Filme kenne sie, doch die Vertonung sei vorher weder abgesprochen noch geprobt. "Das war so spannend - es hat mich wirklich in den Sitz gedrückt." Sei das schönste Kompliment gewesen, das sie von einem Zuschauer bisher bekommen habe.

Das war bei der Vertonung des Films "Dr. Mabuse" - doch auch die Zuschauer von "Spione" dürften am Ende des Abends ähnlich begeistert gewesen sein.

Die Wilhelmsburger Industrie-Halle, bekannt geworden durch den Kino-Erfolg "Soul Kitchen", sei für solche Musik-Events bestens geeignet, freute sich Mathias Lintl von "Kunst Bauen Stadtentwicklung e.V." Der Verein hat die Halle von Juli bis Ende Dezember gemietet. In dieser Zeit sollen hier mehr als 60 Kultur-Veranstaltungen stattfinden. Und auch danach soll es weitergehen. Doch da stehe man noch in Verhandlungen mit der Finanzbehörde. Wer möchte, kann Trautonia Capra noch einmal erleben und zwar am dritten Adventssonntag, 12. Dezember, ab 12 Uhr beim Wintervergnügen in der Soulkitchen-Halle.