Was Bauamtsleiter Hennig von Ladiges von den Sünden der Vergangenheit hält

Harburg. Den Fortschritt sollte der Harburger Ring verkörpern. Harburgs Zentrum sozusagen aus der Nachkriegszeit in das 21. Jahrhundert katapultieren. Doch was Stadtplaner in den 70er-Jahren noch als chic und modern ansahen, empfand die Bevölkerung schon kurz nach der Fertigstellung 1982 als Fiasko. Der Innenstadtring wurde zum meistgehassten Straßenzug Harburgs.

Noch heute, 28 Jahre später, ist Harburg mit der Folgenbeseitigung beschäftigt. Der Leiter der Stadtplanungsabteilung im Harburger Bauamt, Henning von Ladiges, kündigte bei einem Vortrag zur Geschichte des Harburger Ringes im Helms-Museum einen Masterplan für die Innenstadt an, der den Politikern bald vorgestellt werden soll. "Da wird Pfeffer in die Diskussion kommen", sagt der Stadtplaner. Noch würden selbst Harburgs Politiker die Vorschläge nicht kennen. Darum dürfte es aber gehen: eine Neugestaltung des Herbert-Wehner-Platzes vor Karstadt, den Umbau der Knoopstraße zu einer Gemeinschaftsstraße, den Bau eines Kreisverkehrs am sogenannten Finanzamtsknoten.

Der Harburger Ring - ausgerechnet die wohl einschneidendste bauliche Veränderung des Harburger Stadtbildes gilt heute als Fehlschlag. Der Innenstadtring huldigte bedingungslos dem Auto als Symbol des Fortschritts und verbannte den Fußgänger in Tunnel unter die Erde. Wie konnte das passieren? Henning von Ladiges, seit 2001 Stadtplanungschef in Harburg, sieht den Grund in einer zufälligen Kombination von Ursachen, die jede Stadt hätte treffen können. Eine Verkehrsplanung wie in Harburg, sagt er, habe es damals in ganz Deutschland gegeben: "Harburg hat nur das Pech gehabt, dass Geld da war, das zu realisieren."

Gebaut wurde der Harburger Ring von 1973 bis 1982. Der erste sogenannte Leitplan für den Innenstadtring, ein solches Planungsinstrument gibt es heute gar nicht mehr, stammt aus dem Jahr 1958. Obwohl erst in den 1980er-Jahren eröffnet, gilt der Harburger Ring als Nachkriegsplanung. Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Hälfte der etwa 30 000 Wohnungen in Harburg zerstört. Das Zentrum war geprägt von drei- bis viergeschossigen Wohngebäuden, einfachen Gewerbebauten, Schuppen und Nebengebäuden. Keine prächtige Altstadt also.

So mancher sieht darin den Grund, warum Harburg zu einem Experimentierfeld für die autogerechte Stadt wurde. Die City sei nicht so wertvoll gewesen. Da hätten Stadtplaner machen können, was sie wollten. Ganz im Zeitgeist entwickelten die Planer den Ring als dreispurige Einbahnstraße. Fußgänger sollten die Fahrbahn nicht queren, sondern insgesamt sieben Fußgängertunnel nutzen. "Das war Rennpiste pur", sagt Henning von Ladiges.

Beinahe zehn Jahre lang zog die Baustelle als wanderndes Riesenloch durch das Zentrum. Gleichzeitig bekam die City die S-Bahnhaltestelle "Harburg-Rathaus", die Planer ursprünglich direkt im Rathaus-Forum unterbringen wollten. Die Großbaustellen im Zentrum erinnerten an eine Operation am offenen Herzen. Kunden schlängelten sich in schmalen Gassen zu den Geschäften.

Die Menschen in Harburg nahmen Belastungen in Kauf, die heute als unvorstellbar gelten. "Heute", ist sich Henning von Ladiges sicher, "wäre massiver Widerstand die Folge, den kein kommunalpolitisches Bündnis überlebt hätte." Anders damals: Die Bevölkerung wollte die Modernisierung, der Fortschrittsglaube war Konsens.

Wie bitter muss nach zehn Jahren Bauwüste die Enttäuschung gewesen sein. Gleich nach seiner Fertigstellung zeigte der Innenstadtring seine Mängel. "Der Ring", so von Ladiges, "nahm die Innenstadt in den Würgegriff - vielleicht auch heute noch." Das alte Zentrum, der Sand, gekappt von der übrigen City. Die Fußgängertunnel übten kein Sicherheitsgefühl aus. An Radfahrer hatten die Planer gar nicht gedacht. Auf der "Rennstrecke" kam es zu tödlichen Unfällen. Der Fortschrittsglaube schlug in Wut um. Bald setzte der Rückbau des Harburger Rings ein. Etwa jedes halbe Jahr änderte sich die Verkehrsführung. Henning von Ladiges sieht darin den Grund, warum viele Menschen heute noch den Harburger Ring als so undurchschaubar empfinden. Die Verbitterung über den unerfüllten Fortschrittstraum, da ist sich von Ladiges sicher, stecke noch heute, ein Vierteljahrhundert später, in den Köpfen der Harburger Bevölkerung. Der Harburger Ring sei Ursache für eine muntere Protestbewegung: "Dass Misstrauen heute", sagt der Stadtplaner, "ist ein Reflex auf enttäuschte Hoffnungen."

Nicht die ganze Neugestaltung der Harburger Innenstadt sei schlecht gewesen. Mit dem Bau des Innenstadtrings gingen die Ansiedlung der Technischen Universität und die S-Bahnanbindung einher. "Leider", sagt von Ladiges, "gab es die Planung nur im Dreierpack."