Die Hamburger Elternschulen standen auf der Streichliste des Senats – jetzt können sie wohl aufatmen

Wilhelmsburg/Rothenburgsort. Mütter wickeln und stillen ihre Babys, es ist kurz vor 14 Uhr in einem Saga-Bau an der Zeidlerstraße 75 im südlichen Reiherstiegviertel. Aus dem Nachbarraum ist das Lachen und Weinen von Kleinkindern zu hören. Wir sind zu Besuch in einer Einrichtung, die ins Gerede gekommen ist in diesen Tagen: die Elternschule Wilhelmsburg - eine von 22 Elternschulen in der Hansestadt. Jahr für Jahr besuchen fast 70 000 Mütter und Väter die Elternschulen.

In den Elternschulen herrscht wieder Optimismus

Erst wollte Finanzsenator Carsten Frigge (CDU) die Elternschule Wilhelmsburg wie die 21 anderen Hamburger Elternschulen schließen - damit sollte die Stadt 950 000 Euro sparen. "Minimale Einsparung, maximaler Ärger", wetterte Markus Schreiber (SPD), Behördenchef in Mitte.

Die Bezirksversammlung Mitte beschloss am vergangenen Donnerstag mit Stimmen von SPD und GAL: "Einseitige Streichungen im Sozialbereich führen auf lange Sicht zu höheren Kosten. Elternschulen, Mütterberatungen, Jugendhilfeeinrichtungen und Bürgerhäuser leisten einen wichtigen Dienst für die Bürger unserer Stadt. Deswegen lehnt die Bezirksversammlung Einsparungen in diesem Bereich ab."

Jetzt scheint es so, dass die Elternschulen wieder aufatmen können. Der Harburger CDU-Kreischef Ralf Dieter Fischer sagte im Gespräch mit der Harburger Rundschau, dass "die Elternschulen nicht mehr auf der Streichliste stehen" (wir berichteten). Die Finanzbehörde wollte dies allerdings weder bestätigen noch dementieren.

In den Elternschulen herrscht jetzt erst einmal leichter Optimismus: "Wenn Herr Fischer Recht hat, wären wir hier sehr erleichtert", sagt Gabriele Wohltmann, 45, Leiterin der Elternschule Rothenburgsort. "Es ist unfassbar, dass wir überhaupt auf der Streichliste gestanden haben - unsere Eltern waren in hellster Aufregung."

Eine junge Mutter hatte Tränen in den Augen

Montag vor einer Woche hatten sich Leiterinnen aus zwölf Elternschulen in der Elternschule Rothenburgsort getroffen. Einhelliger Tenor nach dem Treffen: "Die Eltern sind entsetzt und haben Angst, eine wichtige Anlaufstelle zu verlieren." Eine Leiterin berichtete von einer jungen Mutter, "die Tränen in den Augen hatte, und fragte, 'wo soll ich denn jetzt hin mit meinen Kindern?'" In der Wilhelmsburger Elternschule hatten die Leiterinnen Birgit Trosien, 53, und Magdalene Baus, 59, Unterschriftenlisten ausgelegt - Überschrift: "Finger weg von den Elternschulen!" Die Mütter und Väter unterschrieben: "Viele Eltern besuchen mit ihren kleinen Kindern die Elternschulen und finden hier Unterstützung, Beratung und neue Kontakte. Viele Freundschaften werden hier geschlossen. Ein Team verschiedenster Berufsgruppen bietet ein vielfältiges Programm an. Elternschulen sind ein einzigartiger Baustein im Netzwerk der Angebote für Familien in diesem Stadtteil. Wir wehren uns deshalb gegen jegliche Streichvorhaben bei den Elternschulen!"

Auch in anderen Elternschulen wurden Unterschriften gesammelt - Eltern und Erzieherinnen haben sie gestern im Rathaus überreicht.

"Wir waren völlig überrascht von den Plänen des Senators", sagt Magdalene Baus. "Die Politik hat sich doch auf die Fahnen geschrieben, frühe Hilfen für junge Familien auszubauen. Richtig aufatmen werden wir erst, wenn der Senat die offizielle Streichliste vorlegt."

Elternschulen, sagen die beiden Wilhelmsburger Leiterinnen, sind "präventive Einrichtungen". "Wir unterstützen die Eltern, wenn die ersten Probleme kommen, und nicht erst, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist", sagt Birgit Trosien.

Keine Frage ist den Elternschulen zu banal, kein Problem zu groß

Zu den Angeboten gehören Eltern- Kindgruppen vom Krabbelalter bis drei Jahre, Babymassagen, Musikkurse, ein Frühstückstreff, Elterncafés und Eltern- Kind-Turnen. Beliebt ist auch der Kursus "Zeit für mich!", wo Mütter zwei Stunden lang Kraft tanken und sich austauschen können, während ihre Kinder nebenan betreut werden.

"Bei uns finden Mütter neue Freundschaften vor und nach der Geburt", sagt Birgit Trosien. "Die Mütter können mit allen Sorgen zu uns kommen - keine Frage ist zu banal, kein Problem zu groß." Wenn die Pädagoginnen von der Elternschule nicht mehr weiterkommen, dann vermitteln sie schnell Kontakt zur Erziehungsberatung, zur Familienhebamme oder zur Schuldnerberatung.

Mit etwa 60 Prozent ist der Anteil von Frauen mit Migrationshintergrund in Wilhelmsburg sehr hoch. Viele Mütter haben Wurzeln in der Türkei - von der Analphabetin mit Kopftuch bis zur Akademikerin ohne Kopftuch.

International gemischt ist auch das Publikum in der Elternschule Rothenburgsort in der Markmannstraße 75. Jede zweite Besucherin hat hier fremde Wurzeln. "Einige Eltern sprechen nicht so gut Deutsch. Da hilft der Kontakt zu anderen Müttern. So lernt man spielerisch die Sprache und fühlt sich nicht mehr so allein im Stadtteil", sagt Leiterin Gabriele Wohltmann.

"Wir bieten frühe Hilfen für junge Familien, also klassische Präventivarbeit", sagt ihre Kollegin Josette Weber, 52 - beide leiten die Elternschule gemeinsam. "Das geht für die Gesellschaft voll nach hinten los, wenn man bei uns spart. In einigen Familien wird sich die Negativspirale hochschaukeln, bis es explodiert. Die familiären Krisen in diesem Stadtteil werden zunehmen, wenn es uns nicht mehr gibt, und der ohnehin schon überlastete Allgemeine Soziale Dienst wird mehr zu tun haben.

"Ein "Riesen-Fan" der Rothenburgsorter Elternschule ist Stefanie Carstensen, 36, die mit ihrem Sohn Johnny, 1, viermal pro Woche vorbeikommt. Montag geht's zu "Gedichte für Wichte", dienstags zum Müttercafé, donnerstags zum Mütterfrühstück und freitags zum Bauchtanz. "Ich habe hier schon bei der Krabbelgruppe und bei der Babymassage mitgemacht und fühle mich hier sehr wohl mit meinem Sohn", sagt Stefanie Carstensen. "Ein Ende der Elternschule wäre für mich eine totale Katastrophe. Ich würde dann versuchen, eine eigene Gruppe auf die Beine zu stellen."

Christine Siggelkow, 43, hat mit ihrem Sohn Jan Peer, 2, Kurse wie "Erste Hilfe beim Kleinkind" und "Wie koche ich den ersten Babybrei" besucht. "Hier ist immer jemand, der ein offenes Ohr hat, und wo man mit seinen Problemen hingehen kann", sagt die Rothenburgsorterin.

Melanie Gennutt, 28, Mutter von Severin, 2, sagt: "Wir kommen jeden Tag her, das ist fast schon unser Wohnzimmer. Die Elternschule gibt dem Tag Struktur - da freue ich mich, morgens früh aufzustehen. Man lernt hier tolle Kinder und Frauen kennen - das ist eine gute Vorbereitung für den Kindergarten."