Harburgs Bürgernaher Beamter Jörg Dieter Mrosek geht in Pension

Harburg. Mario sitzt auf dem Rathausplatz. Dort, auf einer der Bänke ist er fast jeden Tag zu finden. Der jahrelange Kampf gegen seine Drogensucht hat den Mann gezeichnet. Sein zerfurchtes Gesicht zeugt davon. Er will seine Ruhe haben. Nur sein kleiner schwarzer Hund "Gizmo" ist bei ihm. Wenn Polizeihauptkommissar Jörg Dieter Mrosek während seiner Routinestreife durch die Harburger Innenstadt vorbei kommt, taut Mario auf, erzählt von seinen Erlebnissen und Sorgen. "Ich will auf keinen Fall rückfällig werden", sagt er. "Bloß nicht, Mario", sagt Mrosek.

Er kennt die Probleme von Mario schon lange. Seit neuneinhalb Jahren ist Mrosek als bürgernaher Beamter, Bünabe, in seinem Revier unterwegs. Bald ist Schluss, heute geht der 59-Jährige seine letzte Runde. Ende Oktober, nachdem er sechs Wochen Überstunden abgebummelt hat, ist er bereits Pensionär. Es fällt ihm schwer, von seinem Traumjob bei der Polizei Abschied zu nehmen. 42 Jahre lang hat er sich um Recht und Ordnung gekümmert. Gleich nach seinem Realschulabschluss 1968 in Tostedt bewarb sich Mrosek bei der Polizei. Als einziger von elf Bewerbern bestand er alle Prüfungen.

Bei allen großen Demos war er im Einsatz

Dann begann seine Karriere bei den Ordnungshütern. Lange Zeit war er als Bereitschaftspolizist bei allen großen Demonstrationen in Gorleben und Brokdorf dabei, machte den Aufsteiger, wurde Gruppenführer vom Einsatzzug Süd, wurde vom Wachtmeister zum Polizeihauptkommissar befördert.

Eigentlich hätte es für ihn bei seiner Einsatzgruppe immer so weiter gehen können. "Bis Ex-Polizeipräsident Werner Jantosch 2001 verkündete, dass man mit 50 Jahren schon zu alt für diese Arbeit ist", sagt er und verzieht das Gesicht. "Ich konnte den jungen Kollegen allemal noch was vormachen", sagt er kämpferisch. Protest nutzte allerdings nichts. Heute denkt er gern an die alten Zeiten zurück. "Ich habe viel erlebt, war unter anderem Koch für meine Truppe." Hühnerfrikassee für 1^00 Kollegen kochen, das war gar nicht so einfach. Keiner habe gemeckert.

Kein Wunder, dass Mrosek alle guten Harburger Restaurants kennt. Das weiß auch Daniele Cuccu in seinem Bistro an der Neuen Straße. "Buon giorno, Chef, wann gehst du in Rente?", fragt der Italiener und bietet dem Polizisten zum Trost einen Cappuccino an. "Harburg ist ein ganz besonderes Pflaster. Es geht viel menschlicher und herzlicher zu als in anderen Bezirken", sagt Mrosek, der auch Cop for You an der Förderschule und am Lessing-Gymnasium ist. Vom Stigma Brennpunkt Harburg will er nichts hören. "Alkoholiker und Drogensüchtige gibt es anderswo auch", sagt er und betritt die Altstadt-Kneipe. Hier darf gequalmt werden, die Gäste haben Zeit, viel Zeit. Sie sind in Rente oder arbeitslos, starren trübe auf ihre Bierflaschen, umgeben von Fotos und Bildern aus Harburg, wie es früher einmal war. Früher, als sie jung waren und das Leben noch vor sich hatten, als alles "irgendwie besser" war. Mrosek lässt sich von der Tristesse nicht anstecken, begrüßt die Gäste mit Handschlag und fragt, ob alles soweit okay ist. "Ich erfahre viel während meiner Runden. Die Leute haben Vertrauen zu mir und erzählen auch mal sehr private Dinge." Wenn er Harburgern helfen kann, aus dem Elend herauszukommen, tut er es auch. "Da gab es eine Mutter, die vom Richter eine Gefängnisstrafe aufgebrummt bekommen hat. Sie wusste nicht wohin mit ihrem achtjährigen Sohn. Da hab ich den Richter angerufen", erzählt er. Das hat geholfen. Die Frau musste nicht in den Knast.

Ein Weichei ist der Hauptkommissar nicht

Er kümmert sich ebenfalls darum, dass die Rentnerin Ingeborg Schmidt, die "keine dicke Pension hat", so Mrosek, einen neuen Fernseher bekommt. "Ach, Sie kommen doch noch mal bei mir vorbei, bevor Sie aufhören?", fragt Frau Schmidt, und ihre großen Augen füllen sich mit Tränen. Mrosek besucht sie manchmal zu Hause, klönt mit ihr und beruhigt sie, wenn sie denkt, dass Leute um ihre Wohnung schleichen. "Auch das gehört zu meinem Job. Ich weiß, dass längst nicht alle Polizisten so denken, aber ich bin so. Ein wenig Einfühlungsvermögen und Herz muss man als Beamter schon zeigen." Ein Weichei ist er aber nicht. Das haben einige Typen aus der Alkoholikerszene auf dem Rathausmarkt zu Beginn seiner Bünabe-Zeit zu spüren bekommen. Nach einer Auseinandersetzung versuchte ein Unruhestifer, Mrosek zu entkommen. "Der wusste nicht, dass ich in der Freizeit an Marathonläufen teilnehme." Also hetzte Mrosek ihm nach, holte ihn ein, legte ihm Handschellen an. "Seitdem haben alle Respekt vor mir."

Überhaupt habe sich die Situation in der Innenstadt entspannt. "Das war früher viel schlimmer. Es gibt den Freizeitverein an der Knoopstraße, wo einige sich treffen und einfach nur ihre Ruhe haben wollen. Außerdem sind viele wieder in Arbeit, machen Ein-Euro-Jobs und sind in Trainingsmaßnahmen vom Arbeitsamt", berichtet er.

Als er auf dem Markt am Sand eintrifft, begrüßen ihn viele Händler. "Der Mrosek ist polizeibekannt", scherzt Imbissverkäuferin Ruth Glander. Und erneut muss er Fragen nach seinem letzten Tag im Dienst beantworten.

Wieder auf dem Rathausplatz angekommen, trifft er einige Handwerker, die auf der Walz sind und sich eben traditionell bei Bezirksamtsleiter Torsten Meinberg vorgestellt haben. Mrosek erklärt ihnen Harburg, berichtet vom hohen Migrantenanteil, von Mario und anderen Bewohnern. "Da muss man eben tolerant sein", sagt der Polizist, und die jungen Männer nicken. Mrosek will ihnen noch ein paar Souvenirs von der Polizeiwache vorbei bringen. "Sagt Bescheid, wo ihr heute Nachmittag seid, dann komm ich mit dem Motorrad vorbei. Ich hab fünf Maschinen zu Hause." Die warten schon in seiner Garage in Hittfeld. "Wenn ich im Oktober Waffe und Uniform abgegeben habe und zu Hause bin, fahr' ich erst mal 'ne Runde."

So ganz von seinen Harburgern Abschied nehmen kann er nicht. "Ich werde ehrenamtlich als Fahrer bei der Harburger Tafel arbeiten." Und ab und an bei Mario auf dem Rathausplatz und bei Frau Schmidt vorbeischauen und gucken, "ob alles okay ist".