Am Gymnasium Neu Wulmstorf sind drei Lehrer aus der Partnerschule in Tansania zu Gast

Neu Wulmstorf. Einheimische Autofahrer dürften längst keinen Blick mehr für den kleinen Wald entlang der Bundesstraße 73 zwischen Neu Wulmstorf und Buxtehude haben. Entweder sind sie genervt, weil es wieder mal nur im Schritttempo vorangeht. Oder sie geben auf freier Strecke Gas, weil hier die seltene Chance zum Überholen besteht. Mit völlig anderen Augen sieht Pancras Binamungu aus Tansania die Autofahrt durch das Wäldchen. Unbegreiflich findet es der Mann aus Ostafrika, wie viele Bäume hier stünden. "Das", rät er den Deutschen, "müsst ihr unbedingt schützen."

In Neu Wulmstorf prallen zurzeit Welten aufeinander, wie es der Schulleiter des Gymnasiums, Peter Lindemann, formuliert. Zum ersten Mal seit sieben Jahren Partnerschaft ist es dem Gymnasium gelungen, Gäste aus der Partnerschule in Tansania nach Neu Wulmstorf zu holen. Pancras Binamungu, 60, und seine Lehrerkollegen Costa Paul, 40, und Salatiel Mulokozi, 53, von der Kishoju Secondary School besuchen bis zum 18. September die deutsche Partnerschule.

Viele Hürden erschweren die Partnerschaft zwischen den Welten. Da ist zunächst einmal das Geld. Tansanias Wirtschaftskraft nimmt Platz 161 in der Weltrangliste ein. So beantwortet Pancras Binamungu die Frage, wann denn zum ersten Mal Schüler aus Kishoju nach Neu Wulmstorf kommen werden, mit den Worten: "Das wäre ein Traum." Den Familien in Kishoju fehlt das Geld für eine solche Reise. Die Flugtickets für die kleine Lehrer-Delegation haben deutsche Spender bezahlt. Schüler aus Neu Wulmstorf und Kishoju haben sich in den sieben Jahren Partnerschaft noch nie besucht.

Als Klaus Fischer zusammen mit einem Kollegen von der Lehrerarbeitsgruppe "Tansania" des Gymnasiums 2005 erstmals nach Kishoju reiste, war ein Faxgerät in der Schule die einzige Kommunikationsmöglichkeit. Von indischen Händlern kauften sie Handys für ihre afrikanischen Freunde. Internet gibt es an der Schule in Kishoju bis heute nicht. E-Mails schicken und empfangen können die Partner aus Tansania mittlerweile aber in einem niederländischen Hospital - eine Stunde von der Schule entfernt.

Vor fünf Jahren noch haben Lehrer und Schüler in Kishoju Wasser von einem drei Kilometer entfernten Fluss herangeholt - zu Fuß. Mit Hilfe der Spenden aus Neu Wulmstorf konnten inzwischen ein Brunnen und ein Wassertank gebaut werden. Um so etwas möglich zu machen, gehen die Neu Wulmstorfer Gymnasiasten immer vor den Sommerferien einen Tag lang arbeiten und spenden das Geld für ihre Partnerschule in Ostafrika. "Schuften für den Frieden" heißt die Aktion.

Etwa 8000 Kilometer liegen zwischen Neu Wulmstorf und Kishoju. Sechs Tage hat die Anreise der kleinen Delegation gedauert. Vier Tage mussten die drei Lehrer in Daressalam, der größten Stadt Tansanias, auf ihre Visa warten. Die Partnerschaft erschwert, dass Kishoju am Westufer des Victoriasees etwa 1300 Kilometer vom Flughafen entfernt liegt. Für diesen Weg gibt es nur eine Reisemöglichkeit, die ein kleines Abenteuer für sich ist: die Fahrt im öffentlichen Bus, 18 Stunden lang.

Als unerwartete Hürde für die Partnerschaft mit Tansania haben die Neu Wulmstorfer die deutsche Botschaft erlebt. Die deutsche Regierung, so Klaus Fischer, befürchte, die afrikanischen Gäste könnten Asyl beantragen und nicht mehr zurückreisen wollen. Erst eine offizielle Einladung des Gymnasiums, Rückreisedatum inklusive, habe die Botschaft beruhigen können.

Die Neu Wulmstorfer Gymnasiasten kennen die Schwierigkeiten ihrer besonderen Schulpartnerschaft. So müssen sie es als kleine Sensation empfinden, endlich Gäste aus ihrer Partnerschule erleben zu dürfen. Zum ersten Mal in der Geschichte des Gymnasiums überhaupt sind deshalb am Montag zur Begrüßung der drei Lehrer aus Kishoju alle 1200 Schüler zu einer Vollversammlung in der Aula zusammengekommen.

Nun ist der neu eingesetzte Schulleiter der Kishoju Secondary School, Pancras Binamungu, in Deutschland. Beeindruckt, sagt er, sei er von den vielen Bäumen und den zahlreichen alten intakten Häusern. Zu Hause wird er auch von warmen Wasser aus dem Wasserhahn erzählen - das gibt es in Kishoju nicht.

So unterschiedlich die Lebensverhältnisse sind: Schüler am Neu Wulmstorfer Gymnasium und an der 8000 Kilometer entfernten Kishoju Secondary School büffeln ähnlichen Unterrichtsstoff. "Das Level ist etwa gleich", sagt Klaus Fischer, der Einblick in die Schulbücher der Partnerschule hatte. Die auffälligsten Unterschiede: Bei den Jugendlichen in Kishoju steht Landwirtschaft als Unterrichtsfach auf dem Stundenplan. Die Schule unterhält dazu kleine Plantagen. Computer gebe es dagegen in Tansania nur an wenigen Schulen, sagt Pancras Binamungu. In Kishoju nicht. Mit Ausnahme der beiden Computer in der Schulverwaltung, die das Neu Wulmstorfer Gymnasium mit Spenden finanziert hat.

In den nächsten zwei Wochen werden die drei Lehrer aus Tansania Klassen am Neu Wulmstorfer Gymnasium besuchen und aus ihrer Heimat erzählen. Etwa mehr von Deutschland sollen sie auch zu sehen bekommen: die Hauptstadt Berlin zum Beispiel, Stadtführungen in Stade und Buxtehude, das Fußball-Bundesligaspiel HSV gegen Nürnberg und eine Fahrt auf der Elbe.

Peter Lindemann ist überzeugt, dass seine Schüler viel von den drei Kollegen aus Tansania lernen werden. Eine andere Einstellung zu dem Wert von Trinkwasser zum Beispiel. Oder dass 100 Euro viel Geld sind. Weil davon ein Kind in Tansania ein Jahr lang zur Schule gehen könne. Peter Lindemann glaubt, dass solche Botschaften bei seinen Schülern ankommen. Dass nicht wenige geradezu danach dürsten. "Unsere Jugendlichen sind nicht so schlecht wie ihr Ruf", sagt der Gymnasiumsleiter. "Wir haben hier nicht nur eine Spaß-Gesellschaft. Das sehe ich jeden Tag bei unseren Schülern."