Ute Vorkoeper ist künstlerische Leiterin für den Parcours “Aussicht auf Veränderungen“ entlang der S-3-Linie

Harburg. Wer bei dieser Akademie an eine fingerzeigende Besserwisserinstitution denkt, der irrt gewaltig: "Die Akademie einer anderen Stadt", wie sich die Kunstplattform der IBA nennt, steht eher für eine vorsichtig tastende, fragende und suchende Herangehensweise, die ihre Aufmerksamkeit auf das Unbekannte, Ausgeschlossene und Unbeantwortete legt. Sie richtet ihr ästhetisches Augenmerk auf unbeachtete Nicht-Orte der Stadt, die dem Blick der meisten verborgen sind.

Ab September wird sie reichlich Dynamik in der Stadt entfachen: Entlang der S-Bahnlinie S3 wird der Kunstparcours "Aussicht auf Veränderungen" mit 15 Stationen installiert, der den viel beschworenen Sprung über die Elbe sinnlich vollzieht und von den S-Bahn-Endpunkten Harburg und Altona über Wilhelmsburg, Veddel und die Landungsbrücken die Stadt und ihre Bewohner in Bewegung versetzt. "Aufmerksamkeit für das Unbekannte in der Stadt soll geweckt werden", wie sich die künstlerische Leiterin Ute Vorkoeper ausdrückt, die die Route zusammen mit Andrea Knobloch erdacht hat. Mit der S3 als Ausstellungsshuttle sollen der Norden in den Süden und umgekehrt die Harburger in die Neue Große Bergstraße gelockt werden, um die Stadt in Augenschein zu nehmen.

Der künstlerische Sprung verbindet die Stadtteile von Nord und Süd

Die S-Bahn sei dabei besonders in ihrer Alltäglichkeit interessant gewesen, als Alltagsvehikel in seiner Unspektakularität, die aber immer wieder durch die Interventionen des Parcours, durch Aufmerksamkeitsereignisse und Störungen unterbrochen werde, so Vorkoeper. Das beginnt schon damit, dass der Fahrgast an Stellen aussteigen müsse, an die er sonst nie seine Füße setzen würde. Die Fahrt von Harburg nach Altona soll außerdem nicht nur den unhierarchischen Sprung von Süden nach Norden abbilden, sondern für Ute Vorkoeper haben die Stadtteile viel mehr gemeinsam.

"Wir haben Paare gebildet", erzählt sie. Harburg, Altona und Veddel stehen beispielsweise in einer Beziehung. Warum? Für Ute Vorkoeper sind alle drei beredtes Zeugnis der Stadtentwicklung der Spätmoderne. "Beispielsweise das Areal um den Harburger Bahnhof": unübersichtlich und aus heutiger Sicht hässlich gestaltet sei das. Genauso wie die Planungssünden in der Neuen Großen Bergstraße in Altona oder der Berta-Kröger-Platz in Wilhelmsburg: Zeugnisse einer Planung "von oben". Wichtig sei deswegen gewesen, den "Sprung über die Elbe" auch wirklich bis nach Harburg zu vollziehen und nicht im viel besungenen Wilhelmsburg - "dem IBA-Land", wie Vorkoeper sagt, stehen zu bleiben. "Harburg und der Süden müssen auch auf dem Falk-Plan sichtbar werden." Die Landungsbrücken und die Veddel stünden wiederum in einer Beziehung der Sichtbarkeit: Von der Veddel kann man bis zu den Landungsbrücken sehen, bietet sich ein aufregendes Panorama mit kleinem Michel. Viel zu wenige wissen das.

Tolle Aussicht verspricht auch das wohl spektakulärste Projekt des Parcours: Mit "Probewohnen in Wilhelmsburg" hat der Berliner Künstler Christian Hasucha einen wahrlich aufreizenden Titel für die luftige Loggia gefunden, die er auf dem Deck des Marktkauf-Parkhauses in Wilhelmsburg installiert und die als luftige Dependance für einen Tag gebucht werden kann. Stadtplaner, Journalisten, Filmemacher, Wilhelmsburger Bürger und natürlich die obligatorischen IBA-Gegner haben das Zimmer in Himmelsnähe schon belegt.

"Probewohnen" - besser könnte man das stadtplanerische Schicksal der Elbinsel vom Schmuddelkind zur stadtplanerischen Perle mit Zukunft nicht in einem Wort aufrufen. Den künftigen, scheinbar verlockenden Glanz der Elbinsel Wilhelmsburg reflektiert möglicherweise auch das Feld glitzernder Discokugeln, das die Künstlerinnen Sonja Vordermaier und Geelke Gaycken mit ihrer schwimmenden Skulptur "Karat Spill" im Müggenburger Zollhafen auf das Wasser setzen und das außerdem noch einmal das allgemeine Reflexionsniveau nach oben schrauben wird, denn alles in der Umgebung spiegelt sich in dem Objekt von bizarrer Schönheit, die vielleicht trügerisch ist.

Diejenigen, die den Kunstparcours Station für Station abfahren, werden mit weiterem Neuland konfrontiert: Die wenigsten Menschen wissen, dass Migranten Integrationskurse belegen müssen, erzählt Vorkoeper. Der Veddeler Raum, in dem solche stattfinden, wird von Christine Lemke kurzer Hand zur Galerie über das Deutschlernen gewandelt.

Doch die Akademie arbeitet nicht nur mit ungewöhnlichen Orten der Stadt, an denen sie Kunst auftauchen und urbane Veränderungen reflektieren lässt, sondern versetzt Stadtteile auch mal auf die andere Seite der Elbe, lässt die Veddel in Altona und Altona in Harburg auftauchen. Wie das? Die Filmarbeit von Dorothea Carl, die über ein Jahr das Ankommen und Fortfahren auf dem S-Bahnhof Veddel gefilmt hat, flimmert in der Neuen Großen Bergstraße in Altona über den Projektor. Wilhelmsburger Schüler wiederum dürfen in der Fußgängerzone in Altona ihre Visionen von Wilhelmsburg auf die Pflastersteine pinseln.

Die Projekte des Parcours sollen auch Vorurteile lösen

Der Kunstparcours geizt nicht mit spannenden Projekten, die Gegensätze in Bewegung versetzen und Vorurteile möglicherweise auflösen. Doch wie steht Ute Vorkoeper zur modischen Allianz von Stadtplanung und Kreativität, ein Spannungsfeld, an dem sich auch die Kunstplattform der IBA abarbeitet? Erstaunlich kritisch. Stets bestehe die Gefahr der Vereinnahmung und Instrumentalisierung von Kreativität durch ökonomische Interessen. Für die Kunstplattform der IBA sei es wichtig, dass man gemäß der eigenen Sympathie für Offenes und Unvorhergesehenes Dinge machen könne, die nicht direkt ökonomisch verwertbar seien. Was Kunst stadtplanerisch kann, bleibt letztlich sowieso dahingestellt. Vielleicht ist es nicht mehr und nicht weniger als die kritische Spiegelfunktion.

Und Harburg? Am Harburger Bahnhof erwartet die Besucher von "Aussicht auf Veränderungen" in einem Glashäuschen die Arbeit der Künstlerin Nevin Aladag. Darin sind die Aussagen von Bewohnern aus Altona zu einem filmischen Hörporträt des Stadtteils zusammengeschnitten, das von der Performance der Schauspielerin Joana Praml begleitet wird, die den Stimmen der Menschen ihren Körper und ihr Gesicht verleiht.

Ute Vorkoeper kennt nun nicht nur die S3 wie ihre Westentasche, sondern auch die Prozesse einer Großstadt, die so hochkomplex und feinnervig ist, wie die Menschen, die in ihr leben.

Eröffnung des Parcours "Aussicht auf Veränderungen" am 9. September (Marktkauf-Parkhaus), bis 3. Oktober.