Lehrwanderung mit Experten durch den Forst Rosengarten

Sieversen. Der Sommerregen lässt die Pilze aus der Erde schießen und lockt die Pilzsammler in die Wälder. Zehn Pilzbegeisterte samt Trüffelsuchhund brechen unter der Leitung des Pilzsachverständigen Dieter Honstraß zu einer Lehrwanderung im Rosengarten auf.

Schon am Treffpunkt wird eifrig über Pilzfotos und mitgebrachte Exemplare gefachsimpelt. Hier handelt es sich nicht um Anfänger. Nach der Begrüßung geht es mit Körben und Messern bewaffnet in den Wald. Sofort schwärmt die Gruppe aus, die Augen auf den Boden geheftet. Schon nach wenigen Metern der erste Fund: Am Wegesrand stehen essbare Waldfreundrüblinge. Honstraß demonstriert der Gruppe an dem unscheinbaren gelben Pilz die einzelnen Schritte zur Bestimmung. Während die Rüblinge abgeerntet werden - vorsichtig natürlich, damit das Myzel, das unter den Fruchtkörpern liegende wurzelartige Geflecht, nicht beschädigt wird, gibt es gleich ein paar Kochtipps. Danach geht es weiter in den Wald hinein.

Die Harburger "Pilzfreunde" treffen sich regelmäßig zu Lehrwanderungen und zum gemeinsamen Sammeln. Bei ihnen handelt es sich nicht um einen eingetragenen Verein sondern vielmehr um eine lose Vereinigung, wie Honstraß betont. Er gibt Pilzseminare in Deutschland und hat über seine Internetseite www.pilzfreundetreff.de ein weit verzweigtes Netzwerk aufgebaut. Wer Honstraß beobachtet, wie er durch den Wald streift und die verschiedenen Funde erklärt, merkt schnell, dass Pilze sein Lebensinhalt sind.

Vor neun Jahren beschloss Honstraß, der vorher als Unternehmensberater sein Geld verdiente, seine Leidenschaft zum Beruf zu machen. Er gründete eine "Pilzschule", in der er Kurse rund um den Pilz anbietet - von der Einführung in die Pilzkunde bis zum Fortgeschrittenenkurs mit Prüfung zum Pilzsachverständigen. Pilze sammelt er schon seit seiner Kindheit. Jeden Tag geht er raus. Die Erfahrung merkt man ihm an, fast jeden Pilz erkennt Honstaß auf den ersten Blick. "Außerdem hält es mich jung!", erklärt der dynamische 63-Jährige.

Indessen ist die Gruppe wieder fündig geworden. Diesmal ist die Bestimmung schon schwieriger. Zwar ist allen Sammlern sofort klar, dass es sich um einen Röhrling handelt - aber um welchen? "Ziegenlippe" lautet ein Vorschlag, "Kuhröhrling" ein anderer. Doch für die Ziegenlippe ist der Stiel zu dunkel und ein Kuhröhrling hätte eine schleimige Hutoberfläche. Honstraß klärt die Gruppe auf: Es handelt sich um einen Eichenfilzröhrling.

Dieses Beispiel zeigt, dass es auch für erprobte Pilzsammler nicht immer einfach ist, die Sorten auseinander zu halten. Bei mehr als 3000 Pilzarten, die allein in Niedersachsen vorkommen, verwundert das kaum. Um Pilze dennoch eindeutig zu bestimmen, muss der Pilzsammler auch die Umgebung beachten. Auf welchem Untergrund wächst der Pilz? Welche Bäume stehen in der Nähe? All das müsse man bedenken, sagt Birgit Tewes, eine der erfahrensten Sammlerinnen der Gruppe. Pilze sind ihre Leidenschaft. Sie trägt ein selbst bemaltes T-Shirt mit Pilzmotiv. Auch für ihre Freunde vom Pilztreff kreiert sie gelegentlich T-Shirts mit deren Lieblingspilzen. Basteln ist ein anderes Hobby von ihr, für das sie auch gern ihre getrockneten Pilzfunde nutzt. "Ich gehe zu jeder Jahreszeit sammeln, in Winter, im Frühjahr, immer!", sagt die resolute Frau.

Ralf Hempel hat heute seine sechsjährige Tochter Emily dabei. Auch ihr macht das Suchen sichtlich Spaß. Hempel stieß über einen Kurs an der Volkshochschule auf die Pilzfreunde. Leider fehlt ihm oft die Zeit, in den Wald zu gehen. Gepackt hat ihn die Sammelleidenschaft schon als Kind beim Suchen mit den Eltern. Damit ist er ein typischer "Pilzfreund". Die meisten haben als Kinder mit ihren Eltern Pilze gesammelt und entdecken nun als Erwachsene ihre Pilzliebe neu. Ähnlich war es bei Florian Max. "Früher habe ich mich nur für Speisepilze interessiert, aber dann hat es mich noch einmal richtig erwischt. Inzwischen interessiere ich mich für Pilze als solche". Trotzdem hat er sich vorgenommen, heute unbedingt noch einen Steinpilz zu finden.

Bärbel und Jochen Schöttker sind mit Hündin Lisa da. Lisa ist ein Lagotto Romagnolo, ein Italienischer Wasserhund, der in Italien zur Trüffelsuche genutzt wird. Auch Lisa soll einmal Trüffel finden, viele Arten kommen auch in unserer Region vor. Honstraß versteckt eine zu diesem Zweck mitgebrachte Trüffel, die Lisa begeistert wieder ausbuddelt.

Inzwischen gibt es einen weiteren spannenden Fund, ein "Hexenei". Dabei handelt es sich nicht um eine eigene Art, sondern um ein bestimmtes Wachstumsstadium der Stinkmorchel. Aus dem Boden ragt eine mit einer gallertartigen Masse überzogene Kugel, die tatsächlich an ein Ei erinnert. Daraus kann binnen einer Stunde der Pilz "schlüpfen", wie Honstraß erläutert.

Dass der Pilz förmlich emporschießt liegt daran, dass ab diesem Stadium der Pilz nicht mehr durch Zellteilung, sondern durch Zellstreckung wächst. Da sich die Menschen früher das blitzartige Wachstum nicht anders als durch Teufelswerk erklären konnten, nannten sie die kugeligen Gebilde "Hexeneier". Honstraß schneidet kleine Stücke aus dem aufgeschnittenen Pilz und verteilt Kostproben. Nur in diesem Stadium ist die Stinkmorchel genießbar. Der Geschmack ist leicht nussig und erinnert stark an Kohlrabi.

Wer sich näher mit Pilzen beschäftigt, erfährt Faszinierendes - und entdeckt eine völlig neue Welt. Früher den Pflanzen zugeordnet, bilden sie nun neben Flora und Fauna eine eigene Gruppe, die Fungi. Mehrere Quadratkilometer kann ein einzelnes Pilzgeflecht groß werden, bis zu 30 Täublingsarten können gleichzeitig an einer Buche wachsen - andere Gruppen nicht mitgerechnet, ganz zu schweigen von den tausenden Schimmel- und Hefepilzen, die überall zu finden sind.

Es gibt sogar bewegliche Pilzarten. Kleine rote Klumpen an einem morschen Baumstamm entpuppen sich als Blutmilchpilze, Schleimpilze, die kriechen können und sich von anderen Pilzarten ernähren. Wobei - streng genommen handelt es sich hier um unechte Pilze, die wiederum eine eigene Gruppe bilden, irgendwo zwischen Pilz und Tier.

Auch die Nutzbarkeit von Pilzen geht weit über das Omelett hinaus. Honstraß zeigt auf zwei Baumpilze. Bei dem einen handelt es sich um den Zunderschwamm, der früher in Salpeterlösung getränkt und getrocknet zum Feuer anzünden diente. Doch auch Mützen und Schlappen stellte man aus seinem faserigen Gewebe her. Der andere ist ein Birkenporling. "Den hatte sogar Ötzi dabei. Als Sud hilft er gegen Bauchweh und Sodbrennen".

Die Ausbeute an Speisepilzen ist heute eher gering. Auf dem Rückweg entdeckt Birgit Tewes noch ein besonders schönes Exemplar, einen Klebrigen Hörnling. Der leuchtend orangegelbe Pilz erinnert an eine Koralle. Dass er als Speisepilz eher ungeeignet ist, stört Tewes kein bisschen. "Viele Erwachsene denken immer nur ans Essen und sehen oft gar nicht die Schönheit der Pilze", bedauert sie, "Kinder sind da viel offener und haben mehr Freude am Entdecken". Sie arbeitet als Erzieherin in einem Kindergarten. Mindestens einmal in der Woche macht sie mit den Kindern einen Ausflug in den Wald.

So wächst unter kundiger Führung schon die nächste Generation von Pilzsuchern heran. Vielleicht wird der eine oder andere ja später selbst zum Pilzfreund.