Wegen einer falschen Hochwasserprognose ließ HPA das Estesperrwerk geöffnet. Bewohner müssen weiterhin mit Hochwasser rechnen.

Cranz. "Das Sperrwerk Estemündung ist inzwischen das vermutlich am besten kontrollierte Sperrwerk, um eine Katastrophe zu verhindern", hatte Projektleiter Stephan Kräßig von der Hafenverwaltung Hamburg Port Authority (HPA) Anfang Mai gesagt, als die Reparaturarbeiten am Sperrwerk begannen. Er wollte den Cranzer Bürgern damit die Angst vor möglichen Wassermassen bei Sturmflut nehmen. Seit vergangenem Montag dürften viele Cranzer diesen Worten nicht mehr allzu viel Glauben schenken: Um 21 Uhr trat die Este über die Ufer.

"Das Wasser war so hoch wie seit 15 Jahren nicht mehr", sagt Thorsten Marquardt, dessen Haus direkt am Estedeich steht. Damals habe es zuletzt Probleme mit dem mehr als 40 Jahre alten Sperrwerk gegeben. Davor sei jahrzehntelang alles glatt gelaufen.

Laut Marquardt war die Gefahr absehbar. Bereits um 20 Uhr sei klar gewesen, dass die Este höher als die magischen 2,80 Meter über Normalnull steigen wird. Dies ist der Wert, bei dem HPA die Tore des Sperrwerks schließt - zumindest die des funktionierenden äußeren Sperrwerks. Das Westtor des inneren Sperrwerks ist seit Dezember vergangenen Jahres defekt und wird bis Mitte September repariert. Ursache für den Schaden soll Feinsand sein, der beim Schließen der Tore zu einem Haufen zusammengeschoben wurde, woraufhin er das Tor aus seiner Lagerung hebelte.

Am schlimmsten traf das Hochwasser das Haus am Estedeich 106. Der gesamte Keller habe dort unter Wasser gestanden, erzählt Thorsten Marquardt. Das Auto und andere wertvolle Gegenstände konnten gerade noch gerettet werden. "Gott sei Dank ist nichts Schlimmeres passiert." Noch gestern waren auch andere zur Este gelegene Gärten wie der von Heike Kühn vom Café Albers Miteinander überflutet. Sie kann dem Ganzen sogar etwas Positives abgewinnen, denn bis Mitte Juli muss sie mit dem Café ausgezogen sein, weil der Hausbesitzer das Gebäude verkauft hat (das Abendblatt berichtete). "Das bestärkt mich darin, dass es nicht so schlimm ist, dass es hier zu Ende geht."

Aber wie konnte es überhaupt zu den Wassermassen kommen? HPA führt die Hochwasserprognose zur Begründung an. An den St.-Pauli-Landungsbrücken sei man von 2,75 Meter ausgegangen, sagt Sabine Stüben von der Pressestelle. Deshalb habe man vom Schließen des Tores abgesehen, weil man bei diesem Wert für Cranz keine Gefahr befürchten müsse. Dass das Wasser letztlich auf 2,88 Meter stieg, tue HPA leid. Dennoch betont sie, dass die Häuser zwischen Este und Estedeich im Vorflutland liegen und die Besitzer immer mit Hochwasser rechnen müssten. Dass manche Anwohner von noch höheren Wasserständen als den gemessenen 2,88 Meter berichtet haben, stuft sie als Kaffeesatzleserei ein, die sie nicht nachvollziehen könne.

Für die Cranzer stellt sich dennoch die Frage, warum es bei "ihrem" Sperrwerk auf einmal zu so vielen Problemen kommt. "Das hat es noch nie gegeben", sagt Boy Friedrich. Viele Bürger vermuteten, dass das Nicht-Schließen des Tores etwas mit den Sedimentablagerungen zu tun hat und man erneute Schäden am Tor vermeiden wollte - auch wenn HPA etwas anderes sage. Um sich in Zukunft besser zu schützen, wollen sie jetzt selbst die Wasserstandsvorhersagen genau beobachten.