Tsunami und Reaktorkatastrophe von Fukushima jähren sich. Deutsch-Japanische Gesellschaft Winsen hält Kontakt nach Japan.

Winsen. Fukushima. Die Präfektur im Norden Japans steht für die größte Naturkatastrophe des 21. Jahrhunderts und den zweitschlimmsten Nuklearunfall der Menschheitsgeschichte. Am kommenden Sonntag ist der erste Jahrestag der verheerenden Verwüstung, die die Welt in Atem hielt.

90 Männer aus Winsen und Umgebung haben eine ganz besondere Bindung an das Kaiserreich. Sie gehören der Deutsch-Japanischen Gesellschaft in der Luhestadt an. Sie haben Bekannte und Freunde in der Partnerpräfektur Fukui (806 000 Einwohner). Alle drei Jahre reisen Schüler aus Winsen nach Fukui, das knapp 400 Kilometer von Fukushima entfernt liegt. Zuletzt im Jahr 2010.

Die Tragödie beginnt am 11. März 2011 um 14.46 Uhr: Ein Erdbeben löst eine Tsunami genannte Riesenwelle aus. Die Flut begräbt Hunderte Kilometer Küste unter sich, dringt bis zu zehn Kilometer weit ins Landesinnere. 190 000 Menschen sterben. Die Naturgewalt zerstört das Atomkraftwerk in Fukushima. Radioaktive Strahlung tritt aus. Vielen Europäern gilt Japan deshalb noch heute als verbrannte Erde.

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"Feuerwehrleute aus Fukui sind in das Katastrophengebiet gegangen. Das gibt einem zu denken", sagt Werner Kattner. Der 64-Jährige ist der Vorsitzende der Deutsch-Japanischen Gesellschaft Winsen. Er selbst ist mit einer Familie in Fukui befreundet. Sie kennen sich von einigen Reisen, halten regelmäßig mit E-Mails den Kontakt.

Tief ergriffen von dem Leid der Menschen in Fukushima, das jeden Tag im Fernsehen sichtbar ist, rufen die Mitglieder der Deutsch-Japanischen Gesellschaft gemeinsam mit der Stadt Winsen und dem Landkreis Harburg am 15. März 2011 zu Spenden für die Opfer der Katastrophe auf.

Die Menschen im Landkreis Harburg spenden insgesamt rund 85 000 Euro. Ihn habe begeistert, sagt Werner Kattner, dass die Jungen und Mädchen ganzer Schulklassen ihr Taschengeld gespendet haben. Viele Schulen aus dem Landkreis geben Geld. Die größte Einzelspende stammt von jemandem, der anonym bleiben will.

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Was ist aus dem Geld geworden? Werner Kattner ist davon überzeugt, dass die Spenden aus dem Landkreis Harburg zu hundert Prozent die Opfer erreicht haben. Das Besondere an der Hilfsaktion sei der direkte Kontakt nach Japan, der lange ohne anonyme Bürokratien auskommt. Die Deutsch-Japanische Gesellschaft Winsen überweist das Geld an die befreundete Japanisch-Deutsche Gesellschaft in Fukui. Die leitet das Geld an die Fukushima-Hilfe der kleinen Präfektur weiter. Nur auf dem letzten Weg ins Katastrophengebiet, das räumt Werner Kattner ein, lasse sich nicht mehr nachvollziehen, wie genau das Geld eingesetzt wird.

Von 10 000 Euro aber wissen es die Japanfreunde aus Winsen noch genauer. Mit Schulmaterial im Wert dieser Summe sind drei Englischlehrer aus Fukui in das Katastrophengebiet gefahren. So erhalten die Kinder in den Notunterkünften wieder Unterricht. "Wir kennen die drei Lehrer", sagt Werner Kattner. "Sie sind an der Schule tätig, die unsere Kinder aus Winsen während des Schüleraustausches besuchen."

Was viele nicht wissen: Die gemeinsame Spendenaktion der Deutsch-Japanischer Gesellschaft, der Stadt Winsen und dem Landkreis Harburg läuft immer noch weiter. 4000 Euro seien noch auf dem Hilfskonto. Werner Kattner hofft, dass es mehr wird, wenn zum Jahrestag am 11. März die Katastrophe von Fukushima wieder in den Fokus der Öffentlichkeit gerät. Zehntausende Existenzen sind zerstört worden. Noch heute leben viele Menschen in Notunterkünften.

Die Japaner pflegen offenbar eine weniger bürokratische Spendenpraxis als die Deutschen. Ein Foto, das die Deutsch-Japanische Gesellschaft in Winsen von der Spendensammlung in Fukui erhalten hat, zeigt einen Karton im dortigen Verwaltungsgebäude, in den die Japaner Bargeld hineinwerfen. "Die legen das Geld einfach in den Kasten, der von zwei Beamten bewacht wird. Überweisungen wie bei uns scheint es nicht zu geben", wundert sich Werner Kattner.

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Die Japaner begegnen dem Unglück in Fukushima mit einer den Deutschen unbekannten Mentalität. Eine Kultur des Protestierens würden sie nicht kennen. "Die Reiseleiter sehen Fukushima nicht so katastrophal wie wir es sehen", sagt Werner Kattner.

Die japanische Denkweise und Gefühlswelt wird Kenji Kamino auf Einladung der Deutsch-Japanischen Gesellschaft bei einem Vortrag am 14. Mai, 19.30 Uhr, in Winsen erklären. Dann will der Japaner aus Hannover im Vereinsheim des MTV Borstel-Sangenstedt, dem Treffpunkt der Winsener Japanfreunde, verdeutlichen, warum die Katastrophenopfer so ruhig und gelassen blieben.

Für das kommende Jahr plant die Deutsch-Japanische-Gesellschaft in Winsen, wieder eine Reise in die Partnerpräfektur Fukui anzubieten. Zehn bis zwölf Tage soll sie voraussichtlich dauern. Auf die Teilnehmer wartet ein seltenes Erlebnis: Ein Wochenende dürfen sie bei privaten Gastgebern wohnen. In Deutschland normal, in Japan schwierig. Zwei Gründe gibt es dafür: Eine andere Sichtweise der Privatsphäre und die Tatsache, dass in dem dicht besiedelten Land viel weniger Menschen in einem Eigenheim leben.